Psychologie
Zwangs-Störungen: Das steckt hinter der Krankheit
- Veröffentlicht: 20.06.2024
- 05:00 Uhr
- Sven Hasselberg
Zwanghaftes Zählen, kontrollieren, Hände waschen oder putzen. Viele verspüren den Drang, bestimmte Handlungen immer wieder auszuführen. Aber was steckt eigentlich hinter Zwangs-Störungen und was sind die Auslöser. Wie du die psychische Erkrankung erkennst und wie Betroffenen geholfen werden kann.
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Zwangs-Störungen: Das Wichtigste in Kürze
Zwangs-Störungen zählen zu den psychischen Erkrankungen. Betroffene fühlen sich gezwungen, bestimmte Verhalten zu wiederholen oder die gleichen Gedanken durchzudenken.
Schätzungsweise drei Prozent der Bevölkerung haben in ihrem Leben mit Zwangs-Störungen zu kämpfen. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten.
Dazu gehören Putz- und Waschzwänge, Ordnungszwänge, dass bestimmte Gegenstände in einer festgelegten Ausrichtung stehen müssen oder auch eine Sammelwut.
Die Zwangsstörung kann nicht kontrolliert werden und beeinflusst den Alltag der Betroffenen negativ. Das Ausführen der Zwangshandlung verschafft ihnen nur kurz Erleichterung.
Inhalt
- Zwangs-Störungen: Was ist die Erkrankung und wie äußert sie sich?
- Symptome von Zwangs-Störungen
- Beispiele für Zwangsstörungen: Das müssen Betroffene tun und denken
- Was sind die Ursachen von Zwangserkrankungen?
- Wie kann eine Zwangs-Störung therapiert werden?
- Wie kannst du Betroffenen von Zwangserkrankungen helfen?
- Die wichtigsten Fragen zu Zwangs-Störungen
Zwangs-Störungen: Was ist die Erkrankung und wie äußert sie sich?
Zwangs-Störungen entwickeln sich meist schleichend. Bei einem Drittel der Betroffenen bereits in der Pubertät, aber auch Kinder können schon darunter leiden und besonders oft treten sie wohl bei Menschen auf, die so um 20 Jahre alt sind.
Die genaue Definition beinhaltet, dass über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen an den meisten Tagen die Zwangshandlung durchgeführt oder die Zwangsgedanken durchdacht werden.
Bei Zwangshandlungen wird ein Ritual zwanghaft und unkontrolliert wiederholt. Bei Zwangsgedanken wird der gleiche Gedanke immer wieder durchdacht. Meist handelt es sich darum, etwas vergessen zu haben oder sich in einer Situation unangemessen verhalten zu haben.
Den Begriff Zwangs-Störung prägte der deutsche Wissenschaftler Richard von Kraft-Ebing bereits 1867. Zehn Jahre später definierte Carl Westphal, Psychiater und Neurologe aus Berlin, die Zwangs-Störung als eigenes Krankheitsbild, das nicht nur als Teil anderer psychischer Erkrankungen auftritt. Oft tritt eine Zwangsstörung aber gemeinsam mit diesen auf, zum Beispiel mit Depressionen.
Symptome von Zwangs-Störungen
Die Krankheit äußert sich im zwanghaften Wiederholen von Handlungen oder Gedanken. Daraus entwickeln sich Rituale, die genauso immer und immer wieder ablaufen müssen. Sonst fühlen sich die Betroffenen unwohl und angespannt oder rastlos.
Auf einer anderen Ebene wissen die Betroffenen, dass diese Zwangshandlungen oder -gedanken irrational sind. Dennoch können sie diese nicht kontrollieren. Oft schämen sie sich dafür, empfinden Schuld, was den Druck noch mehr erhöht. Ein Teufelskreis beginnt.
Die Ausführung der Zwangshandlung führt nur kurz zur Erleichterung. An sich empfinden Menschen ihre Zwangs-Störung als negativ, sie leiden darunter. Ihr Leben wird von den Zwangshandlungen- und Gedanken komplett bestimmt.
Hat sich eine Zwangs-Störung gefestigt, ist diese chronisch. Es gibt jedoch unterschiedliche Phasen, in denen die Störung stärker und schwächer auftreten kann.
Beispiele für Zwangsstörungen: Das müssen Betroffene tun und denken
🧴 Waschzwang: Der innere Drang sich zum Beispiel ständig die Hände waschen zu müssen, ist so groß, dass die Haut schon völlig in Mitleidenschaft gezogen ist. Oft sind die Hände von den vielen Seifen im Normalzustand schon richtig ausgetrocknet. Manchmal beruht die Handlung auf dem Zwangsgedanken der permanenten Angst vor Keimen.
🪣 Putz-Zwang: Auch Hier haben die Betroffenen oft Zwangsgedanken an Schmutz oder Keime. Der Putz-Zwang äußert sich in einem ständig wiederholenden Putzen der Wohnung oder Teilen der Wohnung. Dabei wird völlig irrational dasselbe Waschbecken immer und immer wieder geschrubbt. Ist die Person am Ende angekommen, fängt sie von vorne an.
🪟 Kontrollzwang: Einer der Klassiker unter der Zwangsstörungen ist der Drang etwas so lange zu kontrollieren, bis es keinen Sinn mehr macht. Während jeder checkt, ob der Herd aus ist, bevor er die Wohnung verlässt, kontrollieren Menschen mit Zwangsstörung den Herd so oft, dass die Null auf dem Knopf für sie vollkommen sinnlos wirkt. Dann schauen sie wieder und wieder darauf und verpassen dadurch wichtige Termine, kommen zu spät zur Arbeit. Das Gleiche gilt für Wasserhähne, Fenster oder anderes.
3️⃣ Zähl- und Wiederholzwang: Hierbei müssen die Betroffenen immer mitzählen und Dinge in einer bestimmten Anzahl wiederholen. Fans von "Big Bang Theory" kennen Sheldon Coopers Drang, dreimal an eine Tür klopfen zu müssen. Öffnet jemand zuvor, muss er dennoch ein drittes Mal klopfen. Auch gibt es den Drang zu zählen: Fliesen auf em Boden oder Gläser im Schrank und andere Dinge.
🧱 Vermeidungs-Zwang: Hierbei versuchen die Personen bestimmte Handlungen unbedingt zu vermeiden. Ein bekanntes Beispiel ist, dass sie nicht auf die Fugen von Fließen oder Pflastersteinen treten können. Oder sie meiden auf einem Zebrastreifen die weißen Felder und ähnliches.
⏱ Zeitlupenzwang: Personen haben das Gefühl, ihre Handlungen wie in Zeitlupe durchführen zu müssen. Sie agieren also extrem verlangsamt. Diese Zwangs-Störung zählt zu den selteneren.
🗯 Gewalttätige und sexuelle Gedanken: Unter den Zwangsgedanken kommt es immer wieder vor, dass Personen daran denken sich oder anderen Gewalt anzutun. Auch denken manche daran, jemanden immer wieder sexuell belästigen zu wollen. Der Gedanke ist nicht zu verdrängen. Das bedeutet aber nicht, dass daraufhin die Handlung folgen muss.
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Was sind die Ursachen von Zwangserkrankungen?
Die genauen Ursachen sind schwer zu klären. So kann eine erbliche Vorbelastung möglich sein oder ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit, wie der Tod eines geliebten Menschen. Auch eine Veränderung der Lebensumstände oder eine temporäre Krise können ein Auslöser sein.
Menschen, deren Charakter sich besonders verantwortungsvoll oder gewissenhaft sein lässt, scheinen anfälliger dafür zu sein. Es gibt aber auch neurologische Ansätze, die erforschen, inwieweit eine Störung in manchen Gehirnregionen vorliegt. Dabei steht vor allem eine Stoffwechsel-Störung beim Botenstoff Serotonin im Zentrum der Beobachtungen.
Wie kann eine Zwangs-Störung therapiert werden?
Zwangs-Störungen sind nicht heilbar. Allerdings lassen sie sich mit Hilfe einer Therapie auf ein Maß herunterfahren, dass einen einigermaßen unbeschwerten Alltag wieder ermöglichen kann. Dies ist natürlich ein längerer Prozess.
Dabei kommt vor allem die kognitive Verhaltenstherapie zum Einsatz. Die Psychotherapeut:innen helfen den Personen, eine andere Sichtweise auf die Dinge zu bekommen, sprechen mit ihnen über generelle Ängste, Sorgen und Probleme. Die Patient:innen lernen so, ihre Situation neu einzuschätzen und können versuchen, Muster zu ändern. Zuvor müssen Fachärzt:innen jedoch die Diagnose gestellt und sich versichert haben, dass die Symptome nicht etwa durch andere Krankheiten körperlicher Natur, wie Demenz oder Schlaganfall, hervorgerufen wurden. Auch werden andere psychische Erkrankungen, wie eine Angststörung, ausgeschlossen, die der Zwangs-Störung sehr ähnlich sein kann.
Medikamente können ebenfalls zum Einsatz kommen, wenn eine Therapie beispielsweise noch nicht möglich ist, weil die Patient:innen zu tief in der psychischen Erkrankung stecken. Diese Medikamente kommen meist aus dem Bereich der Antidepressiva.
Als erste Anlaufstellen agieren Psychotherapeut:innen, Psychiater:innen, andere Fachärzte oder auch Kliniken. In einigen gibt es sogar spezielle Notfallamublanzen für Zwangsstörungen.
Wie kannst du Betroffenen von Zwangserkrankungen helfen?
Beobachtest du, dass eine Person in deiner Familie oder dem Freundeskreis unter Zwangsstörungen leiden könnte, kannst du sie nur ermutigen, sich professionelle Hilfe zu suchen. Unterstütze sie mit Adressen von Psychiater:innen oder Verhaltensthrapeut:innen, biete an, sie zum Termin zu begleiten.
Es hilft gar nicht, sie einfach nur zu bitten "sich zusammenzureißen" oder "einfach aufzuhören". Andererseits hilft es aber auch nicht, das Zwangsverhalten zu unterstützen. Angehörige sollten nicht ihr eignes Leben den Zwängen der anderen unterordnen oder kooperieren, indem sie zum Beispiel die Utensilien auf dem Schreibtisch genauso so pedantisch ordnen, nur damit der oder die Betroffene sich nicht aufregt.