Prozess in Mönchengladbach
Emily stirbt auf Klassenfahrt: Sind zwei Lehrerinnen schuld am Tod der Schülerin?
- Aktualisiert: 27.01.2024
- 15:11 Uhr
- Joachim Vonderthann
Der Vater des toten Mädchens hat vier Jahre für diesen Prozess gekämpft. Jetzt stehen zwei Pädagoginnen wegen fahrlässiger Tötung in Mönchengladbach vor Gericht.
Das Wichtigste in Kürze
Die zuckerkranke Emily stirbt 2019 auf einer Klassenfahrt nach London.
Die Staatsanwaltschaft will die Ermittlungen einstellen, doch der Vater des Mädchens kämpft um einen Prozess.
Seit Mittwoch müssen sich zwei Lehrerinnen vor dem Landgericht Mönchengladbach verantworten.
Das Todesdrama um die Schülerin Emily spielte sich bereits vor mehr als vier Jahren ab: Auf einer Studienfahrt nach London im Juni 2019 starb das damals 13 Jahre alte zuckerkranke Mädchen. Seitdem kämpfte Emilys Vater um die juristische Aufarbeitung der tragischen Ereignisse. Und er hatte Erfolg: Seit Mittwoch (17. Januar) müssen sich zwei Lehrerinnen, die seinerzeit die Reise begleiteten, vor dem Landgericht Mönchengladbach wegen fahrlässiger Tötung verantworten.
Richter fragt: "Muss man sich da nicht mal kümmern?"
Beim Prozessauftakt fragte der Vorsitzende Richter, Martin Albering, die beiden 34 und 60 Jahre alten Pädagoginnen einer Schule in Mönchengladbach: "Jemand übergibt sich die ganze Nacht über, muss man sich da nicht mal kümmern?" Die Lehrerinnen sollen sich vor der Reise nicht ausdrücklich über die Vorerkrankungen der 60 bis 70 Schülerinnen und Schüler erkundigt haben. Deshalb sollen nichts von der Diabetes-Erkrankung erfahren haben, an der Emily litt. Aber auch die Erziehungsberechtigten und die 13-Jährige selbst sollen nicht darauf hingewiesen haben.
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Auf der Fahrt hatte die Schülerin die nötigen Blutzuckermessungen und die Gabe von Insulin vernachlässigt. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend. Am Tag der geplanten Abreise war sie geschwächt und konnte sich nicht selbst anziehen. Freundinnen putzten ihr die Zähne. Die Schülerin starb einen Tag danach in einem Krankenhaus in London.
Angeklagte Lehrerinnen äußern sich kaum
Richter Albering wies die Angeklagten darauf hin, dass sie mit einer Aussage "Pluspunkte sammeln" könnten. Doch die beiden Frauen ließen verlauten, dass sie sich erst später zur Sache äußern wollen. Albering betonte, dass sich für das Gericht viele Fragen ergeben. Etwa, warum die Lehrerinnen nicht direkt aktiv geworden seien, als Schüler ihnen von Emilys schlechtem Zustand erzählt hätten. Es hätte ja eine Blinddarmentzündung oder eine andere Erkrankung sein können. "Wenn 13-jährige Schüler das erkennen, warum erkennen sie das nicht?", fragte er.
Die im Gericht vorgespielte Sprachnachricht einer 14-jährigen Schülerin, die mit einem weiteren Mädchen und der 13-Jährigen das Zimmer teilte, verdeutlichte die dramatische Lage. "Die sackt uns permanent weg", berichtete das Mädchen an ihre Mutter, "wir passen die ganze Zeit auf". Wahrscheinlich müsste sie den ganzen Tag bei der 13-Jährigen bleiben.
Hätte Emilys Tod verhindert werden können?
Wie "Bild" berichtet, informierten die beiden Mitschülerinnen die Lehrerinnen bereits frühzeitig über Emilys schlechten Zustand. Als sie am Abreisetag nach Emily schauten, sei sie aber schon so geschwächt gewesen, dass sie auf Frage nach ihrem Zustand nur noch wirr mit "75" geantwortet habe. Daraufhin sei sie in ein Krankenhaus gekommen, wo sie schließlich am 30. Juni 2019 starb. Die Staatsanwaltschaft machte den Pädagoginnen den Vorwurf, dass Emilys Tod "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte werden können, wenn sie bereits am 28. Juni 2019 stationär aufgenommen worden wäre".
Die beiden Angeklagten gaben zum Prozessauftakt am Mittwoch nur kurze, vorbereitete Erklärungen ab. Die 60-Jährige, seit 28 Jahren Lehrerin, sprach von einem "Schicksalsschlag" auf der Reise. Die Jüngere sagte, es sei schwer zu ertragen, dass bei der Fahrt ein junger Mensch gestorben sei. Bis zum Mai sollen im Prozess Sachverständige und viele Zeug:innen gehört werden, darunter sind Lehrer:innen, Emilys Eltern sowie Mitschüler:innen.
"Es ist ein sehr harter Tag für mich"
Emilys Vater, der gemeinsam mit der Mutter als Nebenkläger auftritt, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Zu "Bild" sagte der 48-Jährige: "Es ist ein sehr harter Tag für mich, ich durchlebe alles noch mal." Er hatte darauf hingewirkt, dass der Tod seiner Tochter doch noch vor Gericht verhandelt wird. Er ging gegen die Einstellung der Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft vor und erwirkte, dass der Fall zum Landgericht kam.
Das Oberlandesgericht, das die Klage nach Beschwerde zuließ, erklärte, dass wohl "eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände zu dem tragischen Tod" geführt haben dürften. Im Fall eines Schuldspruchs reicht das Strafmaß bei fahrlässiger Tötung von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- "Bild": "Sind die Lehrerinnen für Emilys Tod verantwortlich?"