1,5-Grad-Ziel gefährdet
Weltklimarat: Drastische Schritte gegen den Klimawandel nötig
- Aktualisiert: 20.03.2023
- 21:01 Uhr
- Nelly Grassinger
Vor den Konsequenzen zu lascher Klimaschutzmaßnahmen wird immer wieder gewarnt. Jetzt haben 195 Mitgliedsländer ein Dokument abgesegnet, in dem schnelles Handeln gefordert wird.
Das Wichtigste in Kürze
Der Weltklimarat drängt auf drastisches Handeln gegen die Erderwärmung.
Die 1,5-Grad-Grenze könnte bereits in den 2030er Jahren überschritten werden.
Der Bericht gilt als Grundlage für das zukünftige Handeln der Politik.
Die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens könnte bereits in den 2030er Jahren überschritten werden. Um das zu verhindern sind drastische Minderungen der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen noch in diesem Jahrzehnt notwendig. Das macht der Weltklimarat (IPCC) in seinem Synthesebericht vom Montag ( 20. März) so deutlich wie nie zuvor.
"Entschärfung der Klima-Zeitbombe"
"Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit des Planeten", heißt es in dem in Interlaken präsentierten Bericht. Die Erwärmung liegt bereits bei rund 1,1 Grad. Die Folgen des Klimawandels könnten fast die Hälfte der Weltbevölkerung treffen. Bis zu 3,6 Milliarden Menschen leben demnach in Regionen, die besonders starke Folgen des Klimawandels erleben dürften.
"Die Klima-Zeitbombe tickt" warnte UN-Generalsekretär António Guterres. "Aber der heutige IPCC-Bericht ist ein Leitfaden zur Entschärfung der Klima-Zeitbombe. Er ist ein Überlebensleitfaden für die Menschheit." Guterres verlangte, dass Industrieländer das Netto-Null-Ziel bei Emissionen möglichst schon bis 2040 statt 2050 erreichen. Gemeint ist, dass dann nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als eingefangen werden können. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, der Bericht mache "mit brutaler Klarheit deutlich, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir als Weltgemeinschaft sitzen."
CO2-Emissionen steigen weiterhin
Eigentlich wollten die Staaten einen höheren Anstieg als 1,5 Grad möglichst verhindern, um noch schlimmere Auswirkungen der Erderhitzung abzuwenden. Damit die Erderwärmung 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau (1850-1900) nicht oder nur vorübergehend überschreitet, müssten die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 allerdings um 48 Prozent gegenüber 2019 sinken. Derzeit steigen sie jedoch - nach einem kleinen Rückgang wegen der Corona-Pandemie geht es wieder steil nach oben. Erstmals gibt der Weltklimarat auch eine Vorgabe für 2035: minus 65 Prozent gegenüber 2019. "Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die derzeitigen Pläne sind unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen", fasst der Synthesebericht zusammen.
"Die Dringlichkeit, bis 2030 etwas zu tun, ist gestiegen", sagte Mitautor Matthias Garschagen, Klimaforscher an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Der Klimawandel schreitet schneller voran und die Folgen sind stärker als zunächst gedacht, geht aus dem Bericht hervor. Schon jetzt sind Folgen wie häufigere und stärkere Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren deutlich, etwa die Hitze und Überschwemmungen in Indien und Pakistan im 2022 und die anhaltende Dürre südlich der Sahara. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, dass es in Somalia wegen der Dürre im vergangenen Jahr bis zu 43.000 zusätzliche Todesfälle gegeben haben könnte.
Weltklimarat: Handlungsgrundlage für die Politik
Der Weltklimarat geht selbst in den beiden optimistischsten Szenarien mit sehr deutlicher Emissionsminderung davon aus, das die Erwärmung 1,5 Grad vorübergehend überschreiten dürfte, und dies für mehrere Jahrzehnte. Warum, ist klar: "Öffentliche und private Finanzströme für fossile Brennstoffe sind immer noch größer als die für Klimaanpassung und Klimaschutz", hieß es in dem Bericht.
Das neue Dokument beruht auf acht Berichten, die Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern seit gut acht Jahren erarbeitet haben. Es bringt ihre Erkenntnisse auf den Punkt und dient als Handlungsgrundlage für Politiker. Der Weltklimarat (IPCC) ist ein Gremium aus 195 Mitgliedsländern. Sie haben tagelang um jede Formulierung gerungen und den Synthesebericht abgesegnet. Das ist zwar mühsam, bedeutet aber, dass sie den Inhalt nicht mehr in Zweifel ziehen. Darauf aufbauend wollen sie in diesem Jahr anschauen, wie sich die bislang versprochenen Maßnahmen mit den Klimaschutzzielen vereinbaren lassen (global stocktake). Dieser Bericht zeigt: Die Bilanz wird ernüchternd ausfallen.
Klimawandel trifft oft ärmere Regionen
Der Weltklimarat ruft in Erinnerung, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur seit 1970 so stark gestiegen ist wie in keiner anderen 50-Jahre-Periode seit mindestens 2.000 Jahren. Er stellt stärker als zuvor heraus, wer am meisten geschädigt wird: "Verwundbare Gruppen, die in der Vergangenheit am wenigsten zum aktuellen Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismäßig stark betroffen."
Die Differenz zwischen den geschätzten Kosten der nötigen Anpassungen und den eingeplanten finanziellen Mitteln wachse, so der Weltklimarat. Er verweist darauf, dass reiche Länder ihr Versprechen von 100 Milliarden Dollar im Jahr für die ärmsten Länder noch nicht umgesetzt haben. Dabei sei global genügend Geld vorhanden, um die klimaschädlichen Treibhausgase zügig zu reduzieren. Regierungen müssten durch Förderung von Projekten und Studien, Subventionen und Rahmenbedingungen für Investoren die richtigen Zeichen setzen. "Der Ball liegt im Feld der Politik", sagte Mitautor Oliver Geden.
Der Vorsitzende des Weltklimarats, Hoesung Lee, nannte den Bericht dennoch eine "Botschaft der Hoffnung": Denn das Wissen sei da, um den Klimawandel nachhaltig zu begrenzen, ebenso die finanziellen Mittel. Es müsse aber drei bis sechs Mal so viel investiert werden wie heute.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa