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Parteiprofil

Bündnis 90/Die Grünen: Vom ideologischen Zusammenschluss zur Volkspartei?

  • Veröffentlicht: 16.09.2022
  • 15:42 Uhr
  • glö
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© Kay Nietfeld/dpa

Die Grünen gründeten sich 1980 als ideologische Programmpartei – gegen Umweltzerstörung, Kernenergie und atomare Aufrüstung. Heute sind sie Teil einer Bundesregierung, stellen den Vizekanzler und haben einige Kursänderungen vorgenommen. Was hat sich in den letzten 40 Jahren verändert?

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Viele bei den Grünen sehen in den Krisen des 21. Jahrhunderts eine Art historische Bestätigung ihrer Politik. Die Klimakrise werde angesichts brennender Wälder, Fluten und Dürren greifbar. Erneuerbare Energien seien günstig, schützen das Klima und machen uns unabhängig von Despoten wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zudem würden der Einsatz für Menschenrechte und Gerechtigkeit und eine klare Kante gegen Rechtsextreme zu Überlebensfragen liberaler Demokratien.

"Was wir seit vielen Jahren sagen, bewahrheitet sich derzeit mit unausweichlicher Härte und Klarheit", resümierte der Fraktionsvize Andreas Audretsch im August 2022 gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Gleichzeitig rückt die Partei in der Ampelregierung immer mehr von ihren ideologischen Grundsätzen ab: Waffenlieferungen an die Ukraine, mehr Rüstungsausgaben, mehr Strom aus Kohlekraftwerken, Debatte um Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Die Grünen handeln in der Koalition mit SPD und FDP gegen die Interessen ihrer Gründer – und verärgern damit einige Alt-Mitglieder.

Gründung der Grünen

Alt-Mitglieder, die dabei waren, als die Partei sich 1980 aus Protest gegen wachsende Umweltzerstörung, Kernenergie und atomare Hochrüstung gebildet hatte. Zuvor hatten sich 1979 diverse Umwelt-, Anti-Atomkraft-, Friedens- und Frauenbewegungen erstmals zusammengetan, um bei der Europawahl gemeinsam aufzutreten. Ein Erfolg – 1983 konnte die neu gegründete Partei erstmals in den Bundestag einziehen.

Es folgten Richtungskämpfe zwischen den Fundamentalisten, sogenannte "Fundis", und den "Realos". Laut Bundeszentrale für politische Bildung stand die Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung immer im Zentrum dieser Auseinandersetzungen – während die "Realos" sich grundsätzlich für eine Beteiligung einsetzten, waren die "Fundis" entschieden dagegen. Bis 1991 verließ ein Großteil der Fundamentalisten die Partei, die realpolitische Linie setzte sich weitgehend durch.

Ihren politischen Durchbruch erreichte die Partei Ende der 1990er, nachdem sie sich nach der Wende mit der DDR-Bürgerrechtsbewegung "Bündnis 90" zusammenschloss – seither konnte sie sich neben Union, SPD und FDP als vierte Kraft im Parteiensystem dauerhaft etablieren. Die erste bundesweite Koalition kam 1998 mit der SPD zustande.

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Politische Ausrichtung

Die Grünen formulierten ihr Selbstverständnis in ihrem ersten Bundesprogramm 1980 mit den Adjektiven "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei". 22 Jahre später einigte man sich im neuen Grundsatzprogramm darauf, die Anwendung militärischer Gewalt unter UN-Mandat im Einzelfall zu erlauben. Als ihre Grundwerte bezeichneten die Grünen jetzt: "Ökologie, Selbstbestimmung, erweiterte Gerechtigkeit und lebendige Demokratie", dahinter folgte das Eintreten für "Gewaltfreiheit und Menschenrechte". Seit 2022 gibt es ein neues Grundsatzprogramm. Darin werden als "Werte, die uns einen" "Ökologie, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Demokratie und Frieden" genannt. Die Richtlinie "Gemeinsam in Vielfalt", die das neue Programm auch klar herausarbeitet, ist der Partei aber keinesfalls neu. Waren es in den 1990er-Jahren die Frauen, für die sich die Partei stark einsetzte, rückten später sexuelle Minderheiten und Zuwanderer in den Vordergrund.

In ihrem Programm für die Bundestagswahl 2021 setzte die Partei vor allem auf "klimagerechten Wohlstand". Sie forderte ein Klimaschutz-Sofortprogramm, das Deutschland "auf den 1,5-Grad-Pfad" führen soll, Energiegeld, Reduzierung der EEG-Umlage und einen Klimabonus. Auch weitere sozialpolitische Forderungen wie einen Mindestlohn in Höhe von 12 Euro, bessere Infrastruktur, faire Bezahlung für Pflegekräfte und die Kindergrundsicherung standen im Konzept.

Wichtige Persönlichkeiten

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Joschka Fischer

Joschka Fischer galt lange als Revoluzzer und Straßenkämpfer – später als Vorzeige-Grüner. 1982 trat der damals 34-Jährige in die Partei ein, nachdem er sich nach eigenen Angaben in Studentenbewegungen radikalisiert hatte. 1985 wurde er in Hessen Umwelt- und Energieminister, die weißen Turnschuhe, die er bei der Vereidigung trug, brachten ihm den unrühmlichen Namen "Turnschuh-Minister" ein – heute stehen sie in einem Museum.

Von 1998 bis 2005 war der als "Realo" geltende Fischer deutscher Außenminister und Vizekanzler unter Gerhard Schröder. In dieser Zeit fiel die Entscheidung für die Beteiligung am Nato-Einsatz im Kosovo-Krieg und gegen eine Beteiligung am Irak-Krieg. Fischers damaliger Satz "I am not convinced" (z. dtsch. "Ich bin nicht überzeugt") ging in die Geschichtsbücher ein. Er betreibt heute eine Unternehmensberatung.

Jürgen Trittin

Galt Jürgen Trittin bei seinem Eintritt 1980 noch als Fundamentalist, ist er in seiner politischen Karriere bei den Grünen eher ins Lager der Realpolitiker gewechselt. Dennoch: Trittin gilt in der Partei als tendenziell Linker, auf den sich stets beide Flügel einigen konnten. Die Parteibasis wählte ihn 2012 mit einem Spitzenergebnis von fast 72 Prozent zum Spitzenkandidaten. Trittin wird in seiner Partei als Stratege gefeiert ­– und wegen seiner Erfolge.

Mit seiner Amtszeit als Umweltminister unter Gerhard Schröder 1998 bis 2005 sind bis heute das umstrittene Dosenpfand, der Atomausstieg, die Ökosteuer und das Erneuerbare-Energien-Gesetz verbunden. Trittin ist noch heute Bundestagsabgeordneter und sitzt seit 2014 im Auswärtigen Ausschuss.

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Winfried Kretschmann

2011 wurde Winfried Kretschmann der erste grüne Regierungschef in Deutschland überhaupt – 2021 wurde er zum dritten Mal in diesem Amt bestätigt. Der frühere Lehrer für Ethik, Biologie und Chemie zählt zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Baden-Württemberg und zum "Realo"-Flügel.

Der verheiratete Vater dreier Kinder tritt wertkonservativ, bodenständig und pragmatisch auf. Er genießt nicht nur in der Bevölkerung hohe Beliebtheit, im Südwesten liegt ihm auch die eigene Partei quasi zu Füßen. Große parteiinterne Konflikte drangen in seinen Regierungszeiten jedenfalls nicht nach außen, obwohl Kretschmann seinen eigenen Kopf hat und sich öfter jenseits der grünen Parteilinie bewegte. Zoff gab es mehrmals mit der grünen Bundespartei, dort insbesondere mit Parteilinken wie Jürgen Trittin.

Claudia Roth

Die langjährige Grünen-Chefin Claudia Roth polarisiert wie kaum eine andere Politikerin in Deutschland. Emotional und mit Hingabe tritt sie für ihre Themen ein, gegen den politischen Gegner wettert sie im Angriffsstil. Demokratie, Menschenrechte, Flüchtlinge zählen zu ihren Hauptthemen. Mit ihrer Mischung aus kämpferischen Schlagworten und oft farbenfrohem Outfit zieht sie aber auch immer wieder Spott auf sich. "Privat bin ich furchtbar verletzlich", sagte Claudia Roth einst der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Schon 2001 wurde sie an die Parteispitze gewählt. Den Vorsitz verlor sie vorübergehend wegen der damals geltenden Unvereinbarkeit von Amt und Mandat Ende 2002. Zwei Jahre später rückte sie wieder an die Spitze. Heute ist Roth Ministerin für Kultur und Medien in der Ampelregierung und Mitglied des Bundestages. Zuvor war sie acht Jahre lang Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

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Zukunft der Partei

Unter Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock müssen die Grünen aktuell viele Kompromisse mit der Wirklichkeit schließen: Beide sind gemeinsam ganz vorn dabei, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht. Damit weniger knappes Gas für die Stromerzeugung verbraucht wird, gehen wieder mehr klimaschädliche Kohlekraftwerke ans Netz. Nicht wenige der Grünen sehen sich auf dem Weg zur Volkspartei – doch ob das eine gute Sache ist, bleibe abzuwarten, meint auch der Alt-Grüne Karl-Wilhelm Koch. Er sagte der dpa, er sehe "die Gefahr, dass wir die schlechten Eigenschaften der etablierteren Parteien übernehmen, der Führung nur noch nach dem Mund zu reden und auch Schweinereien abzunicken". Man sei einfach "schon viel zu oft umgefallen".

Doch bei den Wählern schadet den Grünen ihre Kompromissbereitschaft nicht. Seit ihrer Regierungsbeteiligung stehen sie meist deutlich oberhalb der 20-Prozent-Marke. Je nach Umfrage liegen sie damit vor oder gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD und weit vor der FDP, die oft zwischen sieben und neun Prozent pendelt.

Verwendete Quellen:

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