Israel-Palästina
Waffenruhe beendet: Israel bombardiert den Gazastreifen, hunderte Menschen getötet
- Veröffentlicht: 18.03.2025
- 17:35 Uhr
- dpa
Eine im Januar vereinbarte sechswöchige Waffenruhe war ausgelaufen. Mangels einer neuen Vereinbarung greift Israel wieder an. Netanjahu werden aber auch innenpolitische Beweggründe nachgesagt.
Erstmals seit Beginn einer Waffenruhe vor zwei Monaten hat die israelische Luftwaffe wieder massiv Ziele im Gazastreifen bombardiert. Mehr als 400 Menschen wurden nach Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bei den verheerenden Angriffen getötet und hunderte weitere verletzt. Palästinensische Medien berichteten auch von vielen getöteten Frauen und Minderjährigen. Mit den neuen Angriffen ist die mühsam von internationalen Unterhändlern ausgehandelte Waffenruhe de facto am Ende.
Zivilist:innen wieder zur Flucht gezwungen
Palästinensische Zivilisten im Norden und Süden des Gazastreifens, die während der Waffenruhe in ihre Wohngebiete zurückgekehrt waren, wurden von der Armee erneut zur Flucht aufgerufen. Vor mehr als zwei Wochen hatte Israel bereits die humanitären Hilfslieferungen in den Küstenstreifen gestoppt, anschließend auch die letzte Stromleitung in das Gebiet gekappt. Die neuen Bombardements verschärfen die Sorge vor dramatischen Auswirkungen für die im eineinhalbjährigen Krieg bereits schwer geschundene Zivilbevölkerung.
Israels schwerste Luftangriffe in Gaza seit dem Inkrafttreten der Waffenruhe erfolgten auf die "wiederholte Weigerung der Hamas, unsere Geiseln freizulassen, sowie auf ihre Ablehnung aller Vorschläge, die sie vom Gesandten des US-Präsidenten Steve Witkoff und von den Vermittlern erhalten hat", teilte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in der Nacht mit.
Netanjahu habe Waffenruhe gebrochen, so Hamas
In einer Erklärung der Hamas hieß es hingegen, Netanjahu und dessen "extremistische Regierung" hätten beschlossen, das Waffenruhe-Abkommen zu brechen. Damit riskiere Israel das Leben der verbliebenen Geiseln, drohte die islamistische Terrororganisation. Sie forderte die Vermittler Ägypten, Katar und USA auf, Israel "für den Bruch" des Abkommens zur Verantwortung zu ziehen.
Netanjahu hatte wiederholt erklärt, Israel werde alle seine Kriegsziele erreichen. Dazu gehört die Freilassung aller Geiseln und die komplette Zerschlagung der Hamas.
Auch Hamas-Führungskräfte getötet
Bei den umfangreichen Angriffen in ganz Gaza wurden nach Hamas-Angaben auch mehrere Führungsmitglieder der Islamistenorganisation getötet. Israelische Medien berichteten von einem Überraschungsangriff auf Hamas-Mitglieder während des muslimischen Fastenmonats Ramadan. Der israelische Kan-Sender berichtete, die Armee habe in den vergangenen Tagen Anzeichen für mögliche Vorbereitungen der Hamas auf einen neuen Angriff auf das israelische Grenzgebiet identifiziert. Die Hamas wies dies scharf zurück.
"Zu den in den vergangenen Stunden getroffenen Zielen zählen Terrorzellen, Abschussrampen, Waffenlager und weitere militärische Infrastruktur", teilte die Armee mit. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete dagegen, es seien auch zivile Ziele wie Flüchtlingszelte und Wohnhäuser getroffen worden.
Im Januar war zwischen Israel und der Hamas eine zunächst sechswöchige Waffenruhe vereinbart worden. Bisher konnten sich beide Seiten nicht auf die Bedingungen für eine Verlängerung einigen. Israel hatte mit Wiederaufnahme des Krieges gedroht, sollte die Hamas keine weiteren Geiseln freilassen. Auch während der Waffenruhe war es immer wieder zu tödlichen Angriffen gekommen. Die Hamas und andere Islamistengruppen halten nach israelischen Informationen noch 24 Geiseln und die Leichen von 35 Entführten fest.
International scharfe Kritik an Luftangriffen
International wurden die Luftangriffe verurteilt, darunter von Frankreich, der Türkei und der UN. China zeigte sich besorgt.
Arabische Medien berichteten, der ägyptische Geheimdienst habe eine "dringende Einladung" an die Hamas geschickt, eine Delegation für neue Waffenruhe-Gespräche nach Kairo zu entsenden.
Auslöser des Gaza-Krieges war der Überfall der Hamas und anderer extremistischer Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seitdem wurden laut der Gesundheitsbehörde im Gazastreifen rund 49.000 Menschen getötet. Die Angaben, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Israel sprach bislang von rund 20.000 getöteten Terroristen.
Kritik an Netanjahus innenpolitischen Gründen
Kritiker Netanjahus warfen ihm vor, er habe den Gaza-Krieg auch aus innenpolitischen Erwägungen wieder aufgenommen. Bis Ende des Monats muss der israelische Haushalt gebilligt werden, sonst käme es automatisch zu Neuwahlen. Dafür braucht Netanjahu aber die Unterstützung des rechtsextremen Politikers Itamar Ben-Gvir und dessen Partei Otzma Jehudit.
Aus Protest gegen die Waffenruhe-Vereinbarung mit der Hamas waren diese im Januar aus der Regierung ausgeschieden. Kurz nach den Luftangriffen verkündete Netanjahus rechtskonservative Regierungspartei Likud dann aber prompt eine Rückkehr von Otzma Jehudit und deren Ministern in die Koalition.
Jehuda Cohen, Vater eines entführten Soldaten, warf Netanjahu im Gespräch mit verschiedenen Medien in scharfen Worten vor, dieser beabsichtige einen "Mord an den Geiseln", um an der Macht zu bleiben.
Der israelische Oppositionspolitiker Jair Golan beschuldigte Netanjahu ebenfalls, dieser spiele mit dem Leben der israelischen Soldaten und Geiseln, weil er Angst vor Massenprotesten gegen die angekündigte Entlassung des Inlandsgeheimdienstchefs Ronen Bar habe.
Im Laufe des Tages und auch für Mittwoch sind in Israel große Kundgebungen geplant, um gegen die Entlassung des Schin-Bet-Chefs zu demonstrieren.
Der Trump-Faktor
Nach Ansicht von Netanjahus Kritikern fühlt dieser sich von US-Präsident Donald Trump auf der ganzen Linie ermutigt - sowohl im Vorgehen gegen interne Gegner als auch mit Blick auf die Wiederaufnahme der Angriffe im Gazastreifen. Trump hatte der Hamas mehrfach mit der "Hölle" gedroht, sollten nicht alle Geiseln - darunter auch Amerikaner - umgehend freigelassen werden. Kürzlich war eine von Trump freigegebene Lieferung schwerer Bomben in Israel eingetroffen. Für die neuen massiven Angriffe gab Trump Medienberichten zufolge dann auch grünes Licht.