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Forschungsprojekt

Studie zur Polizeigewalt: Junge Männer besonders häufig Opfer

  • Veröffentlicht: 16.05.2023
  • 11:53 Uhr
  • Stefan Kendzia
Übermäßige polizeiliche Gewalt wird in Deutschland nur selten aufgearbeitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Übermäßige polizeiliche Gewalt wird in Deutschland nur selten aufgearbeitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. © Philipp Schulze/dpa

Immer wieder gerät die Polizei in den Verdacht, übermäßig Gewalt anzuwenden. Sei es auf Großveranstaltungen wie Demonstrationen,  bei Fußballspielen, generellen Konfliktsituationen oder während Personenkontrollen. Es stellt sich die Frage: Hat die Polizei ein Gewaltproblem? Eine Studie soll nun Antworten liefern.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Eskalation bei Polizei-Einsätzen und Vorwürfe überzogener Gewalt lösen immer wieder Kontroversen aus.

  • Frankfurter Kriminologen haben Fälle übermäßiger Gewalt durch Polizisten in Deutschland untersucht.

  • Defizite sollen vor allem bei der Aufarbeitung polizeilicher Gewalt existieren.

Dass es bei Einsätzen durchaus zu Gewalt kommen kann, hängt in vielen Fällen vom Einsatz selbst ab. Es gibt aber auch Situationen, in denen sich die Polizei vorwerfen lassen muss, überzogen gehandelt zu haben. Eine große Debatte dazu löste der Fall eines 16-Jährigen im Sommer 2022 aus. Der Jugendliche wurde von Polizeibeamten mit einer Maschinenpistole bei einem Einsatz erschossen. Ob die Polizei nun ein übermäßiges Gewaltproblem hat - dazu legte ein unabhängiges For­sche­r:in­nen­team um den Frankfurter Kriminologen Tobias Singelnstein umfassende Zahlen vor.

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Strafrechtliche Konsequenzen bei Polizeigewalt minimal

Im Buch "Gewalt im Amt" legt Tobias Singelnstein zusammen mit Kolleg:innen eine spannende Lektüre vor, die sich auch zahlentechnisch mit Gewalt von Ordnungshüter:innen während der Ausübung ihrer Tätigkeit auseinandersetzt. Unterm Strich herrscht beim Thema Polizeigewalt laut "Taz" ein großes Dunkelfeld. Gleichzeitig blieben die strafrechtlichen Konsequenzen minimal: Die Grenzen zwischen angemessener und übermäßiger polizeilicher Gewalt seien fließend und nicht immer leicht zu ziehen, auch wenn es mitunter klar zu beurteilende Fälle gebe.

Der Studie liegt eine große Onlinebefragung zugrunde, bei der mehr als 3.300 Personen, die angaben, Polizeigewalt erfahren zu haben. Dazu kamen 60 Interviews mit Polizist:innen, Richter:innen, Staatsanwält:innen, Rechts­an­wäl­t:in­nen und Opferberatungsstellen. Dabei wird Polizeigewalt eindeutig definiert: So seien das Handlungen, die "aus der Perspektive der sie bewertenden Personen die Grenzen des Akzeptablen überschritten“.

Die Gewalt fängt nicht erst beim Schießen an, sondern eigentlich schon bei einfachen Überwältigungshandlungen

Tobias Singelnstein, Frankfurter Kriminologe und Jurist

Dass die Polizei Grenzen überschreitet, ist auch ein subjektives Empfinden und muss nicht zwangsweise mit rechtswidriger Gewalt einhergehen: "Die Gewalt fängt nicht erst beim Schießen an, sondern eigentlich schon bei einfachen Überwältigungshandlungen", sagte Singelnstein der Deutschen Presse-Agentur. Zwar hat die Polizei aufgrund ihrer Aufgaben ein Gewaltmonopol - doch auch die Beamten dürften Gewalt "nur ausnahmsweise einsetzen" sagte Singelnstein. "Auf der anderen Seite sehen wir, dass es innerhalb der Polizei eine gewisse Normalisierung der Gewalt gibt, weil es für die Beamten zu ihrem beruflichen Alltag gehört."

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Junge Männer erfahren besonders häufig Gewalt

Auffallend ist besonders ein Ergebnis der Studie: Am häufigsten gaben junge Männer an, polizeiliche Gewalt erfahren zu haben. Insgesamt berichten 19 Prozent von schweren physischen Verletzungen. Aber auch psychische Belastungen seien präsent. Über alle Befragten hinweg berichten 55 Prozent - und das sind die meisten Betroffenen von Polizeigewalt - dass sie Gewalt bei Demonstrationen erlebt hätten. Ein Viertel beklagt dies bei Fußballspielen. Die anderen Fälle fanden etwa bei Personen- oder Verkehrskontrollen statt.

Das Nichtbefolgen von Anweisungen soll öfter zur Eskalation führen, wie ein knappes Fünftel der Betroffenen als Ursache zur Gewalt angibt. Allein, wenn Bürger:innen nach einem Dienstausweis oder nach der Rechtsgrundlage der Maßnahme fragen, berge Konfliktpotenzial. Insgesamt beklagten viele Betroffene, für sie seien die Polizeimaßnahmen nicht transparent und nachvollziehbar gewesen, bevor es zur Gewalt kam. Auf Seiten der Polizist:innen wird die Gewaltanwendung damit erklärt, dass ein Kontrollverlust vermieden werden soll. Ebenso seien Zeitdruck oder mangelndes Personal Faktoren, die zu Überforderung führen würden.

Strafrechtliche Aufklärung von Polizeigewalt nur gering

Warum nur eine geringe strafrechtliche Aufklärung stattfinden würde, sei damit zu erklären, dass vielfach übergriffige Po­li­zis­t:in­nen nicht identifiziert werden könnten. Dazu käme, dass Po­li­zis­t:in­nen ihre Kol­le­g:in­nen nur sehr selten beschuldigten und vor Gericht als besonders glaubwürdig gelten. Zudem soll wegen der alltäglichen Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizei ein "institutionelles Näheverhältnis" bestehen, das einen objektiven Blick erschwere.

Positiv: "Es gibt keine dramatische Zuspitzung in dem Bereich", so Singelnstein zu Fällen von Polizeigewalt. "Im Vergleich etwa zu Demonstrationsgeschehen in den 1980er Jahren sind wir heute auf einem wirklich ganz anderen Level der Gewalt bei Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und der Polizei. Allerdings sind wir heute als Gesellschaft viel sensibler gegenüber Gewalterscheinungen und auch für polizeiliche Gewaltausübungen gilt ein anderer Rechtfertigungsbedarf."

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Kommunikation in der Ausbildung muss größere Rolle spielen

Singelnstein kommt zu der Schlussfolgerung, dass Kommunikation in der Ausbildung von Polizeibeamten eine viel größere Rolle spielen sollte. "Und es wäre wichtig, die Resilienz zu trainieren, mit einer Infragestellung von polizeilicher Praxis durch Bürger in Einsatzsituationen umzugehen." Denn nach wie vor viele Polizist:innen kommen damit nicht klar, dass ihre Anordnungen in Frage gestellt würden und erst einmal diskutiert werde.

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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