US-Geheimdienste
Atom-Angriff trotz Putins Drohungen unwahrscheinlich - aber andere Gefahren lauern
- Veröffentlicht: 28.11.2024
- 13:50 Uhr
- Joachim Vonderthann
Erhöht der Einsatz weitreichender US-Waffen im Ukraine-Krieg die Gefahr eines nuklearen Konflikts mit Russland? Mehrere US-Insider sagen nein, weisen aber auf andere Risiken hin.
Das Wichtigste in Kürze
Die USA sehen trotz gelockerter Waffenregelungen für die Ukraine keine erhöhte Gefahr eines nuklearen Angriffs.
Russland könnte seine Sabotageaktivitäten gegen europäische Ziele aber verstärken, um den Westen unter Druck zu setzen.
US-Insider warnen vor russischem "Grauzonen-Krieg" gegen Europa.
Die Erlaubnis der USA, dass die Ukraine US-amerikanische Waffen gegen tief in Russland gelegene Ziele einsetzen darf, hat das Risiko eines Atomangriffs US-Insidern zufolge nicht erhöht. Ein solcher sei trotz der zunehmend aggressiveren Äußerungen des russischen Machthabers Wladimir Putin unwahrscheinlich, sagten fünf mit dem US-Geheimdienst vertraute Quellen der Nachrichtenagentur Reuters.
Allerdings dürfte Russland seine Sabotagekampagne gegen europäische Ziele ausweiten, um den Druck auf den Westen wegen dessen Unterstützung für die Ukraine im Krieg gegen Russland zu erhöhen. Das sagten zwei hochrangige Regierungsvertreter, ein Abgeordneter und zwei Kongressmitarbeiter, die mit der Angelegenheit vertraut sind.
ATAMCS ändern nukleare Gefahr nicht
Die Geheimdienste sind bereits seit längerem der Ansicht, dass die Aufhebung von Waffen-Beschränkungen keine nukleare Eskalation zur Folge haben würde. Diese Ansicht habe sich auch nach der veränderten US-Haltung zum Waffeneinsatz durch Präsident Joe Biden in diesem Monat nicht geändert, berichteten die Quellen Reuters. "Die Einschätzungen stimmten überein: Die ATACMS würden Russlands nukleares Kalkül nicht ändern", sagte ein Kongressmitarbeiter.
Die amerikanischen ATACMS sind Kurzstreckenraketen, die von mobilen Mehrfachraketenwerfern wie Himars oder MLRS abgefeuert werden. Ihre Reichweite beträgt bis zu 300 Kilometer. Nach dem Abschuss fliegen sie eine ballistische Kurve und sollen wieder am Boden detonieren. Obwohl sie als schwer abzufangen gelten, sind sie im Vergleich zu Marschflugkörpern nicht annähernd so präzise. Sie treffen Ziele wie Munitionslager, Kommandozentralen oder Flugplätze. Die USA haben Kiew ATACMS-Raketen erstmals vor rund einem Jahr zur Verfügung gestellt, zunächst in einer Version mit kürzerer Reichweite.
Im Video: Russland will laut BND-Chef Krieg mit dem Westen
An der Schlussfolgerung der US-Geheimdienste hat auch der Start einer neuen ballistischen Rakete durch Russland in der vergangenen Woche nichts geändert. Militärexpert:innen gehen davon aus, dass der Einsatz der Waffe als Warnung an Washington und seine europäischen Verbündeten gedacht war.
Einer der fünf US-Beamten sagte Reuters zufolge, Washington sei zwar der Ansicht, dass Russland mit seinen Atomstreitkräften keine Eskalation anstreben werde. Putin werde aber versuchen, der Eskalation der USA zu begegnen. Das Abfeuern der neuen Rakete auf die Ukraine sei Teil dieser Bemühungen.
Hybride Kriegsführung Putins befürchtet
Die Biden-Regierung hatte mit der Erlaubnis für die Ukraine, weitreichende Waffen gegen Russland einzusetzen, lange gezögert. Einige Politiker:innen glauben dem Bericht zufolge inzwischen, dass die Befürchtungen einer Eskalation, darunter auch die Angst vor einem Atomkrieg, übertrieben waren.
Laut Reuters änderte vor allem der Einsatz nordkoreanischer Soldaten in Russland die Meinung der Biden-Regierung zum Einsatz weitreichender US-Waffen. Russland erziele auf dem Schlachtfeld Fortschritte, und Moskau betrachte die nordkoreanischen Truppen intern als eine Eskalation, die eine Reaktion Washingtons erforderlich mache, sagte ein Beamter der Nachrichtenagentur.
Die Insider, die mit Reuters sprachen, halten Russlands Fähigkeit, andere verdeckte Wege zu finden, um sich am Westen zu rächen, weiter für besorgniserregend. "Russlands hybride Reaktion gibt Anlass zur Sorge", sagte Angela Stent, Direktorin für Eurasien-, Russland- und Osteuropastudien an der Georgetown University in Washington D.C., mit Blick auf russische Sabotageakte in Europa.
Die russischen Geheimdienste hätten in Europa eine massive internationale Kampagne gestartet, um Länder einzuschüchtern, die die Ukraine unterstützen, sagte ein europäischer Diplomat Reuters. Ein US-Beamter fügte hinzu, dass Moskau aktiv daran arbeite, seinen "Grauzonen"-Krieg gegen den Westen voranzutreiben. Russland verfüge über ein ausgedehntes Agentennetz und prüfe Möglichkeiten, dieses einzusetzen.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur Reuters
- Nachrichtenagentur dpa