Die Türkei und die NATO
Schwedens NATO-Beitritt: Was die Türkei davon hat und warum der Deal noch platzen kann
- Aktualisiert: 16.07.2023
- 21:41 Uhr
- Emre Bölükbasi
Neue F-16-Jets, Unterstützung für den EU-Beitrittsprozess, härteres Vorgehen gegen Terrorgruppen – die Türkei bekam im Gegenzug für ihr Ja zum NATO-Beitritt Schwedens viele Zugeständnisse. Während viele aufatmen, sehen manche Expert:innen und Diplomat:innen den Deal dennoch in akuter Gefahr.
Das Wichtigste in Kürze
Nach dem NATO-Gipfeltreffen in Litauen zeigten sich viele erfreut über die Fortschritte im Beitrittsprozess Schwedens.
Der skandinavische Staat machte eine Reihe von Zugeständnissen an Ankara.
Dennoch kann der Deal platzen. Das türkische Parlament lässt sich für die Ratifizierung des Beitritts noch Zeit.
"Schweden wird Vollmitglied der Allianz" – mit diesen Worten verkündete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im litauischen Vilnius den Durchbruch im NATO-Beitrittsprozess Schwedens. Nach seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson vor dem NATO-Gipfeltreffen teilte er mit, dass Ankara seine Blockadehaltung nun aufgegeben habe.
Viele atmeten nach dem Treffen zwischen Erdogan, Kristersson und Stoltenberg auf und zeigten sich erleichtert. Das Parlament in Ankara ratifizierte den NATO-Beitritt des nordischen Staates jedoch nicht mehr vor der Sommerpause. Damit kann die Zustimmung der Türkei frühestens im Oktober erfolgen - für manche ein Signal, dass der Beitritt Schwedens in die Allianz für die Türkei noch nicht besiegelt ist. Was bekommt aber die Türkei im Gegenzug für ihr Ja – und warum kann der Deal trotz der Zugeständnisse aus Stockholm noch kippen?
Im Video: Jetzt hebt Erdogan die Blockade von schwedischem NATO-Beitritt auf
Stoltenberg: Jetzt hebt Erdogan die Blockade von schwedischem NATO-Beitritt auf
Zugeständnisse an Ankara
Präsident Erdogan verriet nach dem trilateralen Gespräch mit Stoltenberg und Kristersson vor Journalisten die ersten Details zum Gespräch. Mit einem "bilateralen Sicherheitsmechanismus" sollen beide Staaten etwa im Kampf gegen Terrorismus "die Kooperation ausbauen". Schweden werde Ankara einen Fahrplan für das Vorgehen gegen Terrorgruppen vorlegen, fügte Erdogan hinzu.
"Zudem wird Schweden unseren EU-Beitrittsprozess aktiv unterstützen", betonte er. Auch bei der Aktualisierung des Zollabkommens mit Ankara und beim Thema Visafreiheit wird Stockholm künftig Ankara beiseitestehen, resümierte der türkische Präsident. Des Weiteren werde der NATO-Anwärter sich um eine Aufhebung des Waffenembargos von NATO-Staaten gegen die Türkei bemühen.
Die Türkei ist seit langem bemüht, ihre F-16-Flotte zu modernisieren. US-Präsident Joe Biden telefonierte sogar vor dem NATO-Gipfel in Vilnius mit Erdogan über einen möglichen F-16-Deal. Obwohl Präsident Erdogan eine direkte Verknüpfung der F-16-Lieferungen und die Erweiterung der Allianz abgelehnt hatte, ist der Deal um die Kampfjets laut dem CDU-Außenexperten Johann Wadephul Teil des NATO-Deals. "Einen messbaren Erfolg hat er (Erdogan) kaum erreicht", sagte er gegenüber der "Bild" mit Blick auf das grüne Licht Ankaras zum Beitritt Schwedens in die Allianz. Der einzige Erfolg für den türkischen Präsidenten sei die mögliche Lieferung von F-16-Kampfjets gewesen, so Wadephul.
Warum kann Schwedens Beitritt noch kippen?
Trotz zahlreicher Zugeständnisse an die Türkei ist der NATO-Beitritt Stockholms noch nicht in trockenen Tüchern. Präsident Erdogan betont im Zusammenhang mit dem Beitrittsprozess immer wieder die Bedeutung des türkischen Parlaments – der Großen Nationalversammlung in Ankara. Hochrangige türkische Politiker erinnern stets daran, dass das Parlament den Beitritt des nordischen Staates noch nicht ratifiziert habe und die Entscheidung hierfür ihr obliege. Die Abgeordneten hätten "eine Menge anderer internationaler Abkommen" zu prüfen und viele Gesetzesvorschläge zu prüfen. Diese würden nach der Sommerpause in der "Reihenfolge ihrer Wichtigkeit" abgearbeitet.
Erdogan hatte bereits vor dem NATO-Gipfeltreffen in Vilnius erklärt: "Was sagen die anderen zum Beispiel beim Thema F-16-Jets? Sie sagen: Das muss der Kongress verabschieden. Wenn sie ihren Kongress haben, haben wir unsere Große Nationalversammlung der Türkei."
Auch nach dem grünen Licht in Litauen betonte Erdogan, dass das Parlament die "erste Instanz" für den Ratifizierungsprozess sei. Erst nachdem das Parlament Schwedens Beitrittsgesuch ratifiziere, könne er seine Entscheidung treffen. "Wir wollen diesen Prozess so schnell wie möglich abschließen", fügte er aber hinzu.
"Die Exekutive wird ihren Teil dazu beitragen, dass die Dokumente so schnell wie möglich dem Parlament vorgelegt werden”, sagte auch etwa Erdogans Chefberater Akif Cagatay Kilic in einem Interview mit "Nikkei Asia". "Die Aufrichtigkeit ist vorhanden, aber es gibt noch einiges zu tun", fügte er hinzu und deutete an, dass die Sache noch nicht erledigt sei. "Deshalb sagen wir, dass das Parlament daran arbeiten muss, denn unsere Aufgabe als Exekutive ist es, die Dokumente dem Parlament zu übermitteln.“
Schwedischer Ex-Diplomat zeigt sich besorgt
Der ehemalige türkische Technologieminister Mustafa Varank teilte zuletzt auf seinem Twitter-Account die Kommentare des ehemaligen schwedischen Botschafters in der Türkei, Michael Sahlin, zum NATO-Erweiterungsprozess. "Bis zur Ratifizierung im Parlament kann alles passieren", sagte demnach der Ex-Diplomat. Die Türkei habe bewusst ihr grünes Licht gegeben, aber gleichzeitig den Ratifizierungsprozess in der Großen Nationalversammlung nicht sofort aktiviert. "Auf diese Weise können sie noch Druck auf Schweden ausüben, damit es seinen Verpflichtungen aus dem Abkommen (mit der Türkei) nachkommt."
Auch für Aras Lindh, Analyst am Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten, ist der NATO-Beitritt des nordischen Staates noch nicht besiegelt. Dass das Parlament in Ankara die Ratifizierung frühestens nach der Sommerpause vornehmen werde, sei "keine Überraschung", sagte er gegenüber "Expressen". "Der NATO-Beitritt ist noch nicht beschlossen." Nun könne Ankara in den nächsten Monaten den weiteren Verlauf des Beitrittsprozesses genauer analysieren.
- Verwendete Quellen:
- Expressen: Expert: Turkiet ger sig självt mer tid
- Nachrichtenagentur dpa