Politikerin im Portrait
Sahra Wagenknecht: Ihr Weg von der Galionsfigur der Linken zur eigenen Partei
- Veröffentlicht: 10.01.2024
- 15:13 Uhr
- Michael Reimers
Schon früh stand für Sahra Wagenknecht fest, dass sie aufrütteln und Dinge verändern will. Alles über ihren politischen Aufstieg, das radikale politische Programm und die öffentliche Kritik ihrer kontroversen Aussagen.
Steckbrief
- Name: Sahra Wagenknecht
- Beruf: Politikerin und Publizistin
- Geburtsdatum: 16. Juli 1969
- Geburtsort: Jena
- Wohnort: Merzig (Saarland)
Jahrelang war sie das Gesicht der Linken, seit 2009 ist sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sahra Wagenknecht überzeugt mit Wortgewandtheit und bürgerlichem Auftreten, doch ihre polarisierenden Aussagen stießen besonders in den letzten Jahren auf heftige Kritik. Am 23. Oktober 2023 gab sie ihren Austritt aus der Linkspartei bekannt und bereitet die Gründung einer neuen politischen Partei vor.
Studium und Doktortitel
Nach ihrem Abitur 1988 in Berlin studierte Wagenknecht von 1990 bis 1996 Philosophie und Neuere Deutsche Literatur in Jena, Berlin und Groningen. Zuvor war ihr in der DDR aufgrund politischer Zugangsbeschränkungen das Studium verweigert worden. Ihre Abschlussarbeit für den Magistra Artium (M.A.) verfasste sie über die Hegel-Kritik des jungen Karl Marx, was 1997 als Buch veröffentlicht wurde. Doch Ihre Ausbildung war damit noch nicht beendet, denn 2012 legte Wagenknecht an der Technischen Universität Chemnitz ihre Dissertation zum Thema Sparverhalten in Deutschland und den USA vor und promovierte zum Dr. rer. pol. in Wirtschaftswissenschaften. Sie schloss mit dem zweitbesten Ergebnis "magna cum laude" ab.
Von der PDS zum Gesicht der Linken
Als sich die DDR im Frühling 1989 ihrem Ende näherte, trat Wagenknecht der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei. Nach der Wende und der Umbenennung der Partei war sie ab 1991 Mitglied des Parteivorstandes der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Mit wortgewandten Reden und einem ganz eigenen Stil wurde sie schnell sehr präsent in der Partei. Doch immer wieder geriet sie mit dem damaligen PDS-Frontmann Gregor Gysi aneinander, der ihre radikalen Ansichten für zu extrem hielt. Als Gysi 1994 mit seinem Rückzug aus der Partei drohte, sollte Wagenknecht erneut in den Vorstand kommen, verließ die "rote Sahra" für fünf Jahre den Vorstand, bevor sie 2000 erneut gewählt wurde.
Ihre extreme politische Position vertrat Wagenknecht von 1991 bis 2010 als Sprecherin der Kommunistischen Plattform (KPF), eine Verbindung orthodoxer Kommunist:innen innerhalb der Partei. Da diese Verbindung vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird, steht Wagenknecht später als Bundestagsabgeordnete unter Beobachtung. Zusätzlich initiierte sie 2006 auch den Parteiflügel Antikapitalistische Linke, eine politische Strömung innerhalb der Partei, die eine parlamentarismuskritische und antimilitaristische Position vertritt und ebenfalls dem Linksextremismus zugeordnet wird.
2000 kehrte sie in den Parteivorstand der PDS zurück und wurde nach der Europawahl 2004 Abgeordnete im Europaparlament bis 2009. Als die PDS 2007 nach der Fusion mit der SPD-Abspaltung WASG in Die Linke umbenannt wurde, zog Wagenknecht nur zwei Jahre später über die Landesliste in den Bundestag ein. Nach einem ersten Versuch 2008, Vize-Parteivorsitz zu werden, der durch den Parteivorsitzenden Lothar Bisky und den Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi abgelehnt wurde, blieb Gysi aufgrund des großen Zuspruchs innerhalb der Partei nichts anderes übrig, als seine Rivalin 2010 zur Wahl vorzuschlagen. Wagenknecht wurde mit über 70 Prozent der Stimmen zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. 2015 gab Gysi den Fraktionsvorsitz auf und Wagenknecht wurde gemeinsam mit Dietmar Bartsch zur Fraktionsdoppelspitze gewählt. 2019 zog sich Wagenknecht aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt zurück, bevor sie 2021 erneut ein Abgeordnetenmandat erhielt.
In den folgenden Jahren gab es immer wieder Streit und Diskussionen innerhalb der Partei, weil Wagenknechts Ansichten oft konträr der Parteilinie verliefen. 2021 wurde ein Parteiausschlussverfahren gegen sie eingeleitet, weil sie mit ihrem Buch "Die Selbstgerechten" der Partei geschadet haben soll. Ihre Ablehnung der Parteiforderung nach offenen Grenzen bezüglich der Flüchtlingsfrage führte bereits 2016 innerhalb der Partei zu Differenzen, ihre Aussagen zum Russland-Ukraine-Krieg wurden 2022 mit einem offenen Protestbrief kritisiert.
2023 kam es endgültig zum Bruch zwischen der Linken und Wagenknecht. Im Juni forderte der Parteivorstand sie auf, ihr Mandat im Bundestag mit sofortiger Wirkung niederzulegen und im Oktober wurde erneut ein Parteiausschuss beantragt. Am 23. Oktober gab sie ihren Austritt aus der Linkspartei bekannt und kündigte zugleich die Neugründung einer eigenen Partei an.
Neuanfang mit eigener Partei: Das "Bündnis Sahra Wagenknecht"
Als Sarah Wagenknecht im Oktober 2023 aus der Linkspartei austrat, nahm sie neun weitere Bundestagsabgeordnete mit. Daraufhin löste sich die Linksfraktion im Bundestag auf und die verbliebenen Abgeordneten stellten sich neu als Gruppe auf. Wagenknecht gründete den Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht", um die Gründung einer neuen Partei voranzutreiben und Spenden zu sammeln. Dass ein Teil der finanziellen Unterstützung aus dem Ausland kommt, sorgte erneut für Kritik. Am 12. Dezember konstituierte sich der Verein als Gruppe im Bundestag und beantragte die offizielle Anerkennung.
Sahra Wagenknecht privat
Wagenknecht wurde am 16. Juli 1969 in Jena geboren. Ihr iranischer Vater geht in die Heimat zurück, als Wagenknecht zweieinhalb Jahre ist. Sie sieht ihn nie wieder. Ihre Wurzeln ehrt sie 2009 zum Einzug in den Bundestag mit einer offiziellen Namensänderung: Aus der deutschen Schreibweise Sarah wird die persische Sahra.
1997 heiratet sie den Publizisten Ralph Thomas Niemeyer, der zum Scheidungszeitpunkt 16 Jahre später drei Kinder mit drei verschiedenen Frauen gezeugt hat. 2011 wurde das Verhältnis zwischen Wagenknecht und dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken, Oskar Lafontaine, enger. 2014 heirateten sie. Wagenknecht hat keine Kinder.
Wofür steht Wagenknecht? Die politischen Positionen ihres Programms
Wagenknecht stand schon immer für eine linkskonservative Politik. Sie will mit radikalen Ansichten und extremen Aussagen für einen Umschwung sorgen. Als ehemals prominente Frontfrau der Linken setzt Wagenknecht ihre politische Spur nun in einer selbst gegründeten Gruppe fort. Mit "Bündnis Sahra Wagenknecht" will sie eine Lücke im politischen System füllen und laut Gründungsmanifest für eine "Rückkehr der Vernunft in die Politik" sorgen. Diese Grundsätze vertritt Wagenknecht mit dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW):
Außenpolitik
Wie bereits zu Zeiten der Linken spricht sich Wagenknecht mit dem BSW gegen Russland-Sanktionen aus. Den Einsatz militärischer Mittel lehnt sie grundsätzlich ab, auch die Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Stationierung deutscher Soldaten an der russischen Grenze oder in anderen internationalen Kriegen.
Soziales
Wagenknecht fordert leistungsgerechte Löhne, sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen. Die Tarifbindung soll wieder gestärkt werden und die Privatisierung existentieller Dienstleistungen gestoppt. "Unser Ziel ist eine faire Leistungsgesellschaft mit echter Chancengleichheit und einem hohen Grad an sozialer Sicherheit", verspricht das BSW-Manifest.
Wirtschaft
Hier spricht sich Wagenknecht für einen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und der Investitionen ins Bildungssystem aus. Außerdem möchte sie mit dem BSW die Macht von marktbeherrschenden Konzernen beschränken: “Wir streben eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten, sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand an”.
Flüchtlingspolitik
Wagenknecht will eine Begrenzung der Zahl von Flüchtlingen in Deutschland, damit die Infrastruktur nicht überfordert wird. Sie sieht in zu hohen Flüchtlingsaufnahmen eine verschärfte Konkurrenz um niedrigpreisigen Wohnraum und Niedriglohn-Jobs.
Klimapolitik
Im Kampf gegen den Klimawandel will Wagenknecht "blinden Aktivismus und undurchdachte Maßnahmen" verhindern. Viele Technologien wie das E-Auto oder die Wärmepumpe hält Wagenknecht für finanziell nicht stemmbar für den Durchschnittsbürger. Das BSW ist der Meinung, dass sich die Energieversorgung Deutschlands nicht allein durch erneuerbare Energien sichern lässt und setzt sich daher für den Import günstiger fossiler Energie, wie zum Beispiel Erdgas aus Russland, ein.
Wagenknecht besetzt mit dem BSW auch Expert:innen zufolge eine Lücke im Parteiensystem. Parteienforscher Dr. Benjamin Höhne sagt im Interview mit der Frankfurter Rundschau: "Wagenknechts geplante Partei positioniert sich wirtschaftspolitisch links, gesellschaftspolitisch aber rechts und das ist tatsächlich etwas Neues in Deutschland". Ex-Linke Politiker Gregor Gysi sieht diese Mischung in einem ZDF-Interview eher kritisch: "Sie will Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik ein bisschen wie die Linke. Und dann hat man immer die Hoffnung, man kriegt von allen drei Wählerinnen und Wählern. Da kann man sich aber auch täuschen [...]."
Polarisierende Aussagen: Wagenknecht im Kreuzfeuer der Kritik
Wagenknechts linksautoritäre Ansichten stoßen immer wieder auf Kritik. Zu Zeiten der Linken sorgte sie häufig mit Aussagen, die gegen die Politik der eigenen Partei gerichtet waren, für Differenzen. Das eskalierte häufig in intern geforderten Ausschlussverfahren und Parteiaustritten. Die Forderung nach offenen Grenzen unterstützte sie nie und plädiert für eine begrenzte Einwanderungspolitik. Auch die Annäherung der Linken an die SPD kritisierte sie.
In ihrem Buch "Die Selbstgerechten" ging Wagenknecht 2021 die Identitätspolitik linker Parteien an, was zu einem Aufruhr in der eigenen Partei führte. Viele Themen in diesem Buch spielten rechten Medien in die Hände, so der Vorwurf. Aus diesem Grund wird Wagenknecht häufig bei Fragen zu den Fehlern der Sozialdemokratie und grünen Bewegungen zitiert.
Auch wenn sie nach Außen "rechtsextreme, rassistische und gewaltbereite Ideologien jeder Art" ablehnt, kann sich ihre Politik Beobachter:innen zufolge in Teilen einer Überstimmung mit dem Programm der AFD nicht entziehen. 2016 führte sie ein gemeinsames Interview mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry, in dem sich zeigte, dass es Gemeinsamkeiten vor allem in der Flüchtlingspolitik gibt. Auch Aussagen zu einer Mitverantwortlichkeit der Regierung nach kriminellen Handlungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern rückte Wagenknecht in die Nähe der AfD-Ideologie. Mit der Gründung von BSW grenzt sie sich mit dem klaren Ziel ab, die AfD zu schwächen.
Wagenknechts Einstellung in der Corona-Pandemie gab ebenfalls Anlass zu Kritik. Entgegen der Impfaufrufe der Regierung sah Wagenknecht die Impfung als individuelle Entscheidung, hinterfragte die Sicherheit der Impfstoffe und bezweifelte Langzeitfolgen. Selbst ungeimpft geriet sie mit unausgereiften Thesen und kritischen Aussagen immer wieder mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach aneinander.
Wagenknecht wird eine zu starke Nähe zu Putin und Russland nachgesagt. Immer wieder äußerte sie, Deutschland müsse eine gute Beziehung zu Russland pflegen. Auch wenn sie Putins Angriff auf die Ukraine aufgrund ihrer pazifistischen politischen Basis verurteilt, die Sanktionen gegenüber Russland kritisierte sie. Sie sprach von einem Wirtschaftskrieg gegen Russland und machte die Bundesregierung für die hohen Energiepreise verantwortlich.
Fragen und Antworten zu Sahra Wagenknecht
- Verwendete Quellen:
- Bundestag.de
- Frankfurter Rundschau: Wagenknecht und die Abgrenzung zur AFD laut Parteienforscher Dr. Benjamin Höhne
- Tagesschau
- Website: Bündnis Sahra Wagenknecht
- Website: Sahra Wagenknecht
- ZDF-Interview: Gysi: Was ich an Sahra wirklich kritisiere
- Zeit Online: Was das Wagenknecht-Bündnis für die Linkspartei bedeutet