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Zehn Jahre nach dem Unglück

Germanwings-Absturz: So schützt die Luftfahrt heute die Psyche von Piloten

  • Aktualisiert: 25.03.2025
  • 08:46 Uhr
  • Annika Block
Eine Frau weint während einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Germanwings-Absturzes.
Eine Frau weint während einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Germanwings-Absturzes.© REUTERS

Ein ganzes Jahrzehnt ist es her: Am 24. März 2015 brachte ein Co-Pilot eine Germanwings-Maschine zum Absturz und flog sie mit voller Wucht in die französischen Alpen. Er tötete sich und 149 Menschen an Bord - absichtlich.

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Inhalt

Einen Tag vor dem Flug wurde der Airbus A320-211 in Düsseldorf kontrolliert, technische Mängel repariert. Die Maschine war fehlerfrei einsatzbereit. Auf dem Weg von Barcelona zurück nach Düsseldorf sitzt der Erste Offizier, Co-Pilot Andreas Lubitz, im Cockpit. 14 Minuten später sind 150 Menschen tot. Was hat sich seitdem verändert und wie wird depressiven Pilot:innen geholfen?

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Germanwings

Nach zehn Jahren: Gedenken an Germanwings-Absturz

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Was damals geschah

Eigentlich war Lubitz krankgeschrieben am Tag des Fluges, die Diagnose: psychologischer Ausnahmezustand. Dennoch trat der Co-Pilot vor zehn Jahren den Flug an und übernahm nach wenigen Minuten die Kontrolle der Maschine. Er sperrt den Kapitän aus, ignoriert das Kontrollzentrum, das mit ihm sprechen möchte. In 1.550 Metern Höhe rast er das Flugzeug am Vormittag des 24. März 2015 in einen Berg der französischen Alpen. Es gibt keine Überlebenden.

An Bord der Maschine waren 144 Insass:innen und sechs Crew-Mitglieder. Auch 14 Schüler:innen aus Haltern am See in Nordrhein-Westfalen kommen bei dem Selbstmord-Absturz ums Leben. Seit acht Jahren gibt es für die verstorbene Klasse in der Nähe des Absturzortes eine Gedenkstätte, immer wieder finden Gedenkveranstaltungen statt. Auch in Haltern am See wird an die jungen Schüler:innen erinnert, mit Bildern am Eingang ihres ehemaligen Klassenzimmers oder auf der Gedenkstätte auf dem Kommunalfriedhof. Noch immer sitzt der Vorfall tief, Trauer vergeht nicht.

Auch und besonders in diesem Jahr wird den Opfern gedacht. Am Gymnasium der ehemaligen Schüler:innen werden weiße Rosen niedergelegt, zur Zeit des Absturzes hallten Kirchenglocken durch den Ort, am Abend soll ein Gedenkgottesdienst stattfinden. "Diese Schockstarre, das tief empfundene Mitleid aller Bürgerinnen und Bürger mit den Familien und die Frage nach dem Warum begleiten uns bis heute", erzählt Halterns Bürgermeister Andreas Stegemann. "Der Germanwings-Absturz gehört dauerhaft zur Geschichte unserer Stadt."

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Germanwings-Pilot konnte nicht glauben, was passiert war

Tobias Hinsch arbeitet seit 2013 als Pilot bei Germanwings, heute Eurowings. Gleichzeitig leitet er die Arbeitsgruppe Diversity and Social bei der Vereinigung Cockpit, der Gewerkschaft von Pilot:innen.

Germanwings-Pilot Tobias Hinsch.
Germanwings-Pilot Tobias Hinsch.:newstime

Persönlich kannte er Andreas Lubitz nicht. "Ich war gleichzeitig mit ihm in der Flugschule, aber wir kannten uns nicht", erzählt er :newstime. Bei 350 bis 400 Auszubildenden würde man nicht jeden kennen. Zum Glück auch niemanden von der Besatzung der Airbus A320.211. Dennoch trafen ihn die Nachrichten vom Absturz im März 2015 wie im Schock. "Aber natürlich, die Germanwings war keine so große Firma. Das ging einem natürlich ziemlich nah", erinnert sich Hinsch an früher.

Und dann schrieben mir plötzlich Freunde und Verwandte, ob es mir gut geht, ob alles okay ist.

Tobias Hinsch

Zum Zeitpunkt des Absturzes befand sich Hinsch im Urlaub - als er die Nachricht damals im Ticker von CNN sah, dachte er, er habe sich verguckt. "Und dann schrieben mir plötzlich Freunde und Verwandte, ob es mir gut geht, ob alles okay ist." Er konnte nicht glauben, dass so etwas passiert war.

Veränderungen innerhalb der Flugbranche

Der Absturz vor zehn Jahren hat auch bei verschiedenen Fluggesellschaften eine Narbe hinterlassen. Oder so könnte man meinen, denn für diesen traurigen Jahrestag wurden alle Interviewanfragen von :newstime abgelehnt - "aus Respekt vor den Hinterbliebenen". Oder eben, um keine neuen Wunden aufzureißen. Doch was hat sich seit 2015 geändert? Kann inzwischen sichergestellt werden, dass sich der schreckliche Vorfall nicht wiederholt - und wird tatsächlich genügend für die Prävention von Depressionen bei Pilot:innen getan?

Hinsch gibt einen ersten Einblick: "Es gab mehrere Empfehlungen, zum Beispiel zur Einführung von Drogen- und Alkoholkontrollen", aber das hänge eigentlich gar nicht mit dem Fall zusammen. Was also dann?

Verpflichtend vorgeschrieben ist inzwischen, dass Pilot:innen sich vor dem Fliegen bei einer Airline einer psychologischen Eignungsprüfung unterziehen. "Die ist auch etwas umfangreicher, als es vorher der Fall war", erklärt Hinsch. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) in Berlin ergänzt, dass alle Ärzt:innen, die Pilot:innen betreuen, nun europaweit Zugriff auf Patient:innendaten haben. "Wenn ein Pilot früher den betreuenden Arzt wechselte, kannte der neue betreuende Arzt unter Umständen nicht die Krankheitsgeschichte." Mit der neuen Datenbank könne auf früheren Behandlungen aufgebaut werden.

Doch das Wichtigste sind Hinschs Meinung nach allerdings die Unterstützungsprogramme, die Fluggesellschaften anbieten müssen - im gesamten europäischen Luftraum. "Wenn man zum Beispiel ein stressiges Erlebnis beim Fliegen hatte oder psychische Probleme hat, dann hat man einen Ansprechpartner, wo man sich hinwenden kann."

Die Absturzstelle des Airbus A320 der Fluggesellschaft Germanwings bei Seyne in den Bergen der Provence, Südfrankreich,
Die Absturzstelle des Airbus A320 der Fluggesellschaft Germanwings bei Seyne in den Bergen der Provence, Südfrankreich,© Duclet Stephane/dpa
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Medizinische Untersuchung nur unzureichend?

Ein "Medical", wie es Hinsch nennt, eine medizinische Untersuchung, findet einmal jährlich statt. Der Fliegerarzt oder die Fliegerärztin muss dabei ebenfalls die Psyche des Piloten oder der Pilotin beleuchten und besprechen. Das Problem: "Das ist relativ kurz und man muss auch sagen: Psychologische Testung kann man nicht so engmaschig machen, dass man damit sowas vorhersehen kann", kritisiert Hinsch.

Bei dem Test könne man natürlich lügen. Antworten, die einen als gesund erscheinen lassen, könnten einstudiert werden. "Was helfen würde, wäre ein gutes Verhältnis zum Fliegerarzt oder zur Fliegerärztin", meint Hinsch. Denn in einem vertrauensvollen Gespräch würden sich Personen eher öffnen und tatsächlich Probleme besprechen. Gut klappen würde das etwa im Peer-Support-Programm, etwa "AntiSkid", wenn sich Kolleg:innen untereinander helfen. Denn hier sei die Barriere auf dem Weg zur Hilfe niedrigschwelliger. Auch AntiSkid lehnte eine Interviewanfrage ab.

Doch das Vertrauen sei nicht immer gegeben. Kann dann überhaupt von Prävention die Rede sein? Laut Hinsch sind sowohl Hilfsprogramme als auch die Airlines darauf angewiesen, dass depressive Pilot:innen sich die Hilfe suchen, die sie brauchen - "bevor es ein Problem wird". Selbstreflexion wird großgeschrieben. Nachteile bei den Arbeitgeber:innen können dadurch nicht entstehen, fügt BDL hinzu. Seit dem Absturz ist europäischen Fluggesellschaften vorgeschrieben, "auf diese Programme hinzuweisen und Zugang zu den Therapieprogrammen zu gewähren."

Die Verbindung Cockpit habe zusätzlich eine Supportline, an die man sich mit jeglichen Problemen wenden könne. "Ziel ist immer, die Kollegen so lange wie möglich fliegerisch aktiv zu behalten." Wenn das gerade nicht gehe, sei das Ziel, "sie möglichst schnell wieder in den Dienst zu bekommen."

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"Weil das für Terrorismus Tür und Tor öffnet"

Rein technisch allerdings wurden keine Anpassungen vollzogen. Es stellt sich die Frage: Hätte man die Cockpittür auch von außen öffnen können sollen? Hätte so der Absturz verhindert werden können? Pilot Hinsch erklärt, dass das Thema Cockpittür ein entweder oder sei: Entweder könne man jemanden aussperren - oder man könne immer rein. "Beide Sachen bieten Risiken", führt er weiter aus. Er schätzt das Risiko bei der Variante "Man kommt immer rein" jedoch deutlich höher ein - "weil das natürlich auch für Terrorismus Tür und Tor öffnet."

Am 27. März 2015, drei Tage nach dem Absturz, wurde laut BDL bei deutschen Airlines ein vorläufiges Verfahren eingeführt. Demnach mussten zu jeder Zeit zwei autorisierte Personen im Cockpit eines Flugzeugs sein. Jegliches alleinige Handeln könnte so unterbunden werden. Zwei Jahre später wurde diese Regelung jedoch zurückgezogen: "Es hatte sich herausgestellt, dass diese Regelung aus verschiedenen Gründen nicht zu höheren Sicherheitsstandards beiträgt", schreibt BDL.

Sind Depressionen bei Pilot:innen inzwischen Alltagssache?

In einer Studie von 2023 zeigten zwölf von 100 Pilot:innen Anzeichen einer leichten Depression. Das sind zwölf Prozent, wenngleich die Stichprobe überschaubar bleibt.

Eine weitere Erkenntnis, die aus einer in Saudi-Arabien durchgeführten Studie aus dem Jahr 2024, ist, dass Pilot:innen mit langjährigen Erfahrungen eher zu Depressionen neigen. 310 Pilot:innen nahmen an der Studie teil. Zur Vermeidung von Depressions-Symptomen tragen laut der Studie längere Ruhezeiten, regelmäßige sportliche Betätigung sowie eine längere Schlafdauer bei.

Das Thema Depressionen ist laut Hinsch noch immer "zu stigmatisiert". Die Corona-Pandemie habe zwar geholfen, die Krankheit und die Wichtigkeit der mentalen Fitness im Pilot:innen-Job auch öffentlich mehr in den Fokus zu nehmen - doch am Ende sei man noch nicht angelangt. "Ein bisschen was ist noch zu tun, aber es ist auch schon in die richtige Richtung losgegangen", fasst Hinsch die Veränderungen der Depressionsprävention seit dem Absturz am 24. März 2015 zusammen.

Sollten Sie selbst suizidale Gedanken haben oder haben diese bei einem Angehörigen oder Bekannten festgestellt, bietet die Telefonseelsorge Hilfe. Anonyme Beratung erhalten Sie rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter "telefonseelsorge.de."

  • Verwendete Quellen:
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
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