Der Kampf für Gleichberechtigung
Für mehr Natural-Hair: Die Bewegung setzt ein Zeichen der Selbstakzeptanz
- Veröffentlicht: 21.03.2023
- 12:48 Uhr
Haar-Hashtags füllen Social Media Kanäle: #NaturalHairMovement , #NaturalHairJourney, #NakedHair und #NaturalHair scheint erneut ein großes Thema zu sein. Dabei wird der natürliche Look, der Aufruf zu mehr Selbstakzeptanz durch Natural Hair schon lange diskutiert und landet immer wieder auf der Trend-Agenda. Nun erlebt die Natural-Hair-Bewegung also eine neue Welle. Woher kommt sie? Wann und wie entstand das Natural Hair Movement eigentlich? Geht es dabei wirklich "nur" um Haare? Und gibt es auch in Deutschland eine Natural-Hair-Bewegung? Wir wollen uns das Thema und die Hintergründe genauer ansehen.
Was steckt hinter dem natural hair?
Wenn Menschen, aber vor allem Frauen entscheiden, ihr Haar nicht länger chemisch, mit Hitze oder schädlichen Methoden zu behandeln, sondern es stattdessen einfach natürlich zu tragen, dann mag dies manchen als ganz selbstverständlich vorkommen.
Für Menschen mit afrikanischer Abstammung ist es heute immer noch alles andere als selbstverständlich. Egal ob Menschen ihr Haar vor aggressiven Haarstylingmethoden, wie zu engen Tressen oder vor schädlichen chemischen Produkten schützen wollen, ob sie für mehr Gleichberechtigung und ein natürliches Schönheitsideal, gegen den Druck der weißen westlichen Ästhetik kämpfen, die Entscheidung für Natural Hair ist immer noch ein Statement. Solange der natürliche Afro-Lockenkopf noch mit Vorurteilen und Klischees behaftet ist, bleibt auch Natural Afro Hair mit sozialen und politischen Hintergründen verknüpft.
Um wirklich zu verstehen, was hinter Natural Hair und dem Natural Hair Movement steckt, lohnt sich ein Blick in die Geschichtsbücher. Die Entstehung und Entwicklung der Bewegung muss berücksichtigt werden, wenn man über die Natural-Hair-Bewegung aufklären möchte.
Natural-Hair-Bewegung - was ist das?
Um das Natural Hair Movement verstehen zu können, oder es als Außenstehender zumindest zu versuchen, ist es unbedingt nötig einen Schritt zurück in die Zeit vor Blogs und Hashtags zu unternehmen. Die Geschichte beginnt schon lange vor der Sklaverei, als die Haare afrikanischer Frauen und Männer noch natürlich getragen wurden und schließlich das erste Mal "unnatürlich" gemacht werden sollten.
Während des atlantischen Sklavenhandels wurden Millionen von Afrikanern deportiert und von den traditionellen ursprünglich Routinen ihrer Haarpflege getrennt. Frisieren galt als eine soziale Tätigkeit und das Haar war mit kulturellen, sozialen und spirituellen Attributen verbunden. Nun gingen Wissen, Traditionen und Tools, wie der afrikanische Kamm verloren.
1865 wurde zwar die Sklaverei am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs abgeschafft, doch schwarze amerikanische Bürger suchten nun nach einer Möglichkeit sich der dominanten weißen Ästhetik anzunähern. Vor allem, um einen Job zu bekommen. Damals griffen die meisten zu einem heißen Kamm, bis schließlich die berühmte Relaxer-Creme auf den Markt kam.
Das Comeback der Natürlichkeit für Haar mit afrikanischer Abstammung und die sogenannte Naturhaar-Bewegung oder Natural Hair Movement begann in den 1960er Jahren in den Staaten.
Zur Zeit der Rassentrennung der 1960er und 1970er Jahre war Angela Davis, die junge Menschenrechtsaktivistin und Mitglied der Black-Panther-Bewegung, das Gesicht, das die Afro-Frisur berühmt und zum Symbol für Natürlichkeit, Widerstand, Emanzipation und kulturelle Behauptung der Afroamerikaner machte. Stars wie Diana Ross oder die Jackson 5 folgten ihr.
Viele schwarze Menschen trugen ihr Haar damals aus sozialer oder politischer Überzeugung ganz natürlich. Jedoch gilt dies nicht für alle. Auch wenn der Afro-Look durch die Natural-Hair-Bewegung zum Statement wurde, trugen und tragen ihn viele auch, um ihr Haar nicht den schädlichen Auswirkungen von chemischen Behandlungen auszusetzen.
So genannte Relaxer, also chemische Haarglättungen waren trotzdem über die 60er Jahre hinaus weit verbreitet. Entweder vom Profi im Salon durchgeführt oder als DIY-Kit für zu Hause sollten sie krauses, gelocktes Haar glatt bügeln. Obwohl die Methode zu Juckreiz, Flecken, Rötungen, Reizungen und sogar Verbrennungen an der Kopfhaut führte, war geglättetes Haar die Norm.
Weitere Methoden Afrolocken zu bändigen, waren die 'Jheri curl', wie Michael Jackson sie im Musikvideo zu Thriller trägt, aber auch Dreadlocks und Braids.
Nach der ersten Welle des Natural Hair Movements folgten weitere. Gerade in den 2000er Jahren erlebte die Bewegung einen großen Aufschwung und auch heute, rund 60 Jahre später bemühen sich Anhänger immer noch um Anerkennung. Das Internet, Blogs und Social Media leisten heute ihren Beitrag zur Bewegung. Hashtags wie #NaturalHairMovement, #NaturalHairJourney, #NakedHair und #NaturalHair verbreiten sich in Windeseile über die ganze Welt. Pflege-Tipps und Tricks für gelocktes Haar, aber auch Kritik an der Bewegung werden öffentlich geteilt. Durch Social Media wird den People of Color nahe gebracht, wie sie ihr Haar pflegen können, damit sie ihre Afrolocken voller Stolz tragen können und sich dafür nicht zu schämen brauchen.
Natural-Hair-Bewegung in anderen Ländern
Die Bewegung hat also in Amerika ihren Ursprung, als Folge der Sklaverei, Rassendiskriminierung und Unterdrückung schwarzer Menschen. Trotzdem sind natürlich weltweit Menschen davon betroffen und schlossen sich dem Natural Hair Movement an.
Hand in Hand mit der Bewegung geht auch ein weiterer Trend: Das Reclaiming und die Redefinition von nappy. Während das Wort lange benutzt wurde um afro-texturierte Haare abzuwerten, soll das Wort heute die Haartextur beschreiben.
Diese negative Assoziation des Wortes geht zurück auf dessen Entstehung und wurde lange mit krausen, ungepflegten Haaren gleichgesetzt. Heute rufen Influencer, Blogger, Promis und Opinionleader mit #reclaimingnappyhair dazu auf, das negative Image abzulegen und den Begriff neu zu definieren.
Schon in den frühen 2000ern beschleunigte das Internet die Verbreitung des Mindsets, der Begriffe, der natürlichen Pflege-Tipps und Routinen und befeuerte die Bewegung maßgeblich.
Online waren erstmals Informationen für jeden mit natürlichen Afrohaartexturen zugänglich. Jeder konnte sich an der Diskussion beteiligen, sich Tipps und Rat holen, oder seine eigenen Erfahrungen teilen. Über Websites, Blogs und Social Media Kanäle auf der ganzen Welt fanden Frauen (aber auch Männer) mit Natural Hair zueinander, um sich zu unterstützen und zu empowern.
Ein internationaler, grenzenüberschreitender, progressiver Dialog zu Schönheitsidealen war geboren.
Die somit wachsende, schneller und lauter werdende Natural-Hair-Bewegung schaffte es tatsächlich den Relaxer weit vom Markt abzudrängen. Stattdessen wurden neue Produkte vorgestellt, die ohne Chemie und ohne bedenkliche Inhaltsstoffe die Bewegung unterstützen sollten.
In den USA führte die Kommerzialisierung der Bewegung und das plötzliche Angebot an Pflegeprodukten dazu, dass die Stimmen der Anhänger wieder leiser wurden. In anderen Ländern waren erst die ersten Schritte getan.
Schwarze Frauen weltweit griffen das Thema der Afrohaarpflege weiter auf und teilten weiterhin ihre Erfahrungen mit Hausmitteln und kosmetischen Pflegeprodukten miteinander.
Bei einer solch großen, polarisierenden Bewegung gibt es natürlich auch genügend Kritik. Vonseiten der amerikanischen Szene hört man immer wieder, dass die Bewegung doch von und für Menschen mit afrikanischer Abstammung ins Leben gerufen wurde mit 4C-Haaren, also Locken in der Größe 4C. Dürfen Biracials mit 3C-Haaren trotzdem mit diskutieren? Außerdem ist die Bewegung in Amerika von einer langen, schmerzhaften Geschichte geprägt. Eine Geschichte, die in Europa aufgewachsene Menschen nicht teilen, egal ob 4C- oder 3C-Haare. Aber dürfen sie sich trotzdem der Bewegung anschließen?
Natural-Hair-Bewegung in Deutschland
Natürlich gibt es auch in Deutschland eine Natural-Hair-Bewegung. Die aber ganz klar, etwas anders abläuft und vor allem deutlich später einsetzte als das amerikanische Movement.
Erst rund um 2010 wurden in Deutschland die ersten Vertreterinnen der Bewegung bemerkbar und begannen die Thematik für Deutsche zu öffnen und zugänglicher zu machen. Seitdem wächst die Community. Langsam zwar und kaum vergleichbar mit dem Ausmaß der US-Anhänger, aber dennoch entwickelt sie sich.
Youtuber:innen, Blogger:innen und Vlogger:innen, sowie Social Media Influencer:innen leisten ihren Beitrag und füttern das Web fleißig mit News, Tipps, Infos und Updates rund um Natural Hair.
Gerade mit Blick nach Übersee muss man erkennen, dass die deutsche Bewegung noch am Anfang steht. Mittlerweile sind aber immerhin Produkte für Afrolocken in einer deutschen Drogeriekette erhältlich. Die Auswahl an speziellen Produkten ist allerdings weiterhin klein und teuer.
Afroshops liefern zwar die größte und beste Produktpalette, aber kaum ein gängiger Friseursalon kann das Fachwissen liefern, das Stylisten benötigen, um Natural Hair richtig zu schneiden und zu pflegen. Sowohl die Einkaufsmöglichkeiten, als auch die Salons für Afrohaare beschränken sich auf Experten-Nischen.
Promis zeigen, wie es geht
Was kann da helfen, die Szene und den Markt weiter für Natural Hair zu öffnen? Aufmerksamkeit. Diejenigen, die gehört werden, nutzen ihre Stimme, um auf das Thema weiter aufmerksam zu machen, um Bewusstsein zu schaffen, zu informieren und die Diskussion weiter zu öffnen.
Die Moderatorin Aminata Belli ist eine der deutschen bekannten Afro-Trägerinnen. In Amerika zählen Lupita Nyong'o, Solange Knowles, Janelle Monáe, and Viola Davis zu den bekanntesten Beispielen. Sie alle tragen ihren natürlichen Afro offen und natürlich.
Andere Stars greifen zu Perücken, machen daraus aber auch kein Geheimnis. Schließlich steht die Natural-Hair-Bewegung für Selbstliebe und Selbstakzeptanz und schließlich auch für Selbstentscheidung. Stars wie Cardi B oder Naomi Campbell sind uns vor allem mit langen, super glatten Haaren bekannt. Geben aber offen zu, dass dieser Look nicht ihren natürlichen Haaren entspricht, sie sich aber dafür entscheiden Perücken zu tragen. So auch Beyoncé, die mit einem Kinderfoto von sich und ihrer Tochter, ein Statement auf Instagram abgab. Während der Superstar selbst auf der Bühne Perücken trägt, möchte sie, dass ihre Tochter mit natürlichem Haar aufwachsen kann.
Eine wichtige Figur in der Selbstbestimmungs- und Emanzipations-Bewegung schwarzer Frauen ist immer noch Michelle Obama. Während ihrer Zeit im weißen Haus trug sie stets glattes Haar. Als 2017 ein Paparazzi-Schnappschuss von ihr auftauchte, auf welchem sie ihre Naturkrause trägt, wurde sie von der Natural Hair Community gefeiert.
Seitdem die ehemalige First Lady nicht mehr als solche aktiv ist, sondern ihre eigenen Projekte und Events leitet, ihr Buch und ihren Podcast öffentlich gemacht hat, zeigt sie sich immer wieder und immer öfter ganz bewusst mit natürlich gelocktem Haar.
Unser Fazit - Steh zu dir!
Natural Hair hat einen langen Weg hinter sich und immer noch einen langen vor sich. Natürliche afro-texturierte Haare sind für manche immer noch etwas ungewöhnliches. Wenn Frauen oder Männer sich dafür entscheiden ihre Naturlocken zu tragen, dann ist diese Entscheidung immer noch stark behaftet. Sei es, ob dahinter ein Statement für mehr Natürlichkeit und Selbstakzeptanz steht oder ein Statement für mehr Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Der Afro ist nach wie vor eine Statementfrisur. Daher ist es umso wichtiger, dass der Afro immer mehr als Natural Hair getragen wird.
Indem du deinen Afro trägst, bietest du den Menschen in deinem direkten Umfeld erst die Möglichkeit, mit dem Thema in Berührung zu kommen. Du kannst aufklären, informieren, vielleicht wirst du anecken, aber ganz bestimmt kannst du jemandes Horizont erweitern.
Entscheidend ist dabei aber vor allem, dass du dich mit deinem natürlichen Haar wohlfühlst. Lerne es kennen und lerne es zu lieben, anstatt dagegen anzukämpfen und einem künstlich kreierten, veralteten Schönheitsideal entsprechen zu wollen.