Lush im beauty-interview
Können Badebomben die Welt retten?
- Veröffentlicht: 04.01.2023
- 15:07 Uhr
- Johanna Holzer
"Unsere eigene Regierung hat getwittert: Shut up and just make Soap", erzählt Hilary Jones. Sie ist seit mehr als 20 Jahren Mitarbeiterin bei Lush und die meiste Zeit davon als Ethik-Direktorin für Kampagnen, Projekte, Demos und Aktionen rund um Menschenrechte, Tier- und Umweltschutz verantwortlich.
Mit uns hat Hilary Jones darüber gesprochen, warum Lush eben nicht einfach nur Seife macht und sich aus gesellschaftlichen Diskussionen heraushält, sondern sich sozial engagiert und auch mal laut wird.
Wenn Lush nicht einfach "nur Seife macht", wofür steht Lush dann?
Nun, ganz offensichtlich stellen wir Kosmetik her. Wir machen Produkte, mit denen Menschen baden oder duschen können. Und das wollten wir immer schon auf eine Art und Weise tun, die unseren Werten und moralischen Ansprüchen entspricht. Wir wollen auf die Bedürfnisse unserer Kund:innen, auf unseren Planeten und auf Tiere achten. Und uns gleichzeitig selbst nicht zu ernst nehmen. Wir wollen Produkte herstellen, die Freude machen. Unsere Kund:innen sollen sich zurücklehnen können in dem Wissen, dass wir uns um unsere und ihre Werte kümmern. Alles, was sie noch tun müssen, ist entspannen, genießen und Spaß haben.
Gibt es Schönheitsideale in der Welt von Lush? Wie sehen die aus? Welches Ideal soll die Brand vertreten?
Klar, wir machen Schönheits-Produkte, aber wir wollen damit nicht einem Ideal hinterherjagen. Das heißt, wir versuchen beispielsweise nicht, die Haut zu verändern. Wir wollen niemanden jünger machen. Wir wollen niemanden weißer machen.
Wir wollen Produkte entwickeln, die dabei helfen sollen, die eigene Haut zu lieben und bestmöglich zu pflegen. Zum einen, indem unsere Produkte Spaß machen sollen. Zum anderen aber auch, indem sie Selbstliebe und Selbstakzeptanz fördern. Wir möchten nicht, dass unsere Kund:innen versuchen, sich zu radikal zu verändern. Oder dass sie sich Sorgen ums Altern machen. Alles, was wir anbieten, soll diese Sorgen nicht anfeuern, sondern eher abmildern.
Das machen wir, indem wir ein breites, vielseitiges Spektrum an Produkten für jeden Haut- und Haartyp anbieten. In unseren Shops kann man sich beraten und helfen lassen, das Richtige für die eigenen Bedürfnisse zu finden.
Woher kommen all die kreativen Ideen für diese Produkte, die Spaß machen sollen, wie Shower Bombs und Co.?
Unsere Gründer – insgesamt sechs Co-Gründer Mo Constantine, Mark Constantine, Rowena Bird, Helen Ambrosen, Liz Bennett und Paul Greeves – haben immer schon neue kreative Produkte entwickelt. Sie sind Erfinder. Schon bevor es Lush gab, haben sie Produkte für The Body Shop entwickelt, für zwei andere eigene Brands und dann schließlich für Lush.
Sie selbst bringen immer noch ihre Ideen und Erfahrungen ein, haben aber gleichzeitig ein Team an kreativen Köpfen aufgebaut. Aus diesem Core-Team rund um die Gründer kommen die Ideen für neue Produkte.
Auch unsere Produktentwicklung hat sich verändert: Das Team hat sich von der Vorstellung gelöst, etwas erfinden zu müssen, das in eine Flasche oder einen Tiegel passt. Seitdem gibt es plötzlich viel mehr Möglichkeiten und Ideen. Ohne klassische Verpackungen gab es plötzlich keine Grenzen für Kreativität mehr.
Hat Lush tatsächlich die Badebombe und das feste Shampoo erfunden?
Die berühmte Badebombe ist eins dieser Produkte, das frei von Verpackungen etwas ganz Neues ermöglicht hat. 1989 hat Mo Constantine in ihrem Gartenschuppen Zitronensäure, Natriumbicarbonat und eine Mischung aus ätherischen Ölen in einer kleinen Presse zusammengedrückt und die Badebombe erfunden. Als Inspiration dienten ihr in Wasser lösliche Vitamintabletten.
Die ersten Badebomben hat Mo mit Kräutern und Blüten versehen. Heute haben wir ausgeklügelte Produkte, die fantasievolle Muster und Farben in das Badewasser zeichnen. Die Badebombe hat sich weiterentwickelt, aber sie ist in ihrer Kernidee gleich geblieben.
Ebenso wie festen Shampoobars, die 1987 ebenfalls von Mo Constantine und Stan Krysztal erfunden wurden. Beide Produkte sind kreativ und "outside the bottle" gedacht, beschäftigen sich mit Fragen der Ethik und Umweltschutz. Sie sind beide wirklich bezeichnend für Lush.
Was kommt als Nächstes? Arbeitet die Company an ähnlich großen Erfindungen?
Ich kann aktuell keine große Erfindung ankündigen, aber wir arbeiten an neuen Konzepten. Wir entwickeln zum Beispiel eigene Lush-Hair-Salons. Für viele Menschen ist es häufig keine angenehme Erfahrung, zum Friseur zu gehen. Es stresst die Leute. Sie haben Schwierigkeiten zu kommunizieren, was sie gerne möchten und welchen Look sie sich wünschen. Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass es für viele eine Überwindung ist, zum Friseur zu gehen. Das wollen wir ändern.
Außerdem arbeiten wir weiterhin an unseren Henna Blocks. Das sind feste und natürliche Bars, mit denen man sich selbst zu Hause oder auch in den Salons in Zukunft die Haare färben kann.
Lush Produkte sind vegan oder vegetarisch, cruelty-free und häufig unverpackt, aber nicht natürlich. Möchte Lush das ändern?
Unsere liebsten Inhaltsstoffe sind natürliche. Sehr viele unserer Produkte sind voller natürlicher Inhaltsstoffe. Aber trotzdem greifen wir auch auf ausgewählte synthetische Ingredienzien zurück. In manchen Produkten nutzen wir Konservierungsstoffe – aber sparsam, damit sie im Bad zumindest ein Jahr überstehen.
Ein weiterer bewusst gewählter künstlicher Inhaltsstoff, den wir nutzen, sind Tenside. Weil wir wissen, dass Verbraucher:innen stark schäumende Reinigungsprodukte mögen. Gleichzeitig versuchen wir, unsere Nutzer:innen zu informieren, dass auch natürliche Seife zuverlässig, gut und sicher reinigt, ohne zu schäumen. Wir bieten beide Alternativen an.
Gibt es dafür auch Kritik?
Wir wollen eine so vielseitige Bandbreite an Produkten anbieten, damit jede:r das Passende findet. Für alle, die auf der Suche nach natürlichen Inhaltsstoffen sind, haben wir eine Produktrange, ebenso für die, die etwas ohne Verpackung suchen. Aber wir wollen auch die bedienen, die ein Produkt möchten, das richtig schön schäumt. Wenn wir dann doch für unsere Entscheidung kritisiert werden, einzelne wenige synthetische Inhaltsstoffe zu verwenden, dann müssen wir damit leben.
Soll Lush in Zukunft noch nachhaltiger werden? Wie will die Brand dabei vorgehen?
Wir feilen permanent an unserem Nachhaltigkeitskonzept. Und zwar auf jedem Level. Das fängt bei der Suche nach Roh- und Inhaltsstoffen an. Wir arbeiten eng mit unseren Partner:innen zusammen, die diese Stoffe erzeugen, anbauen, ernten und liefern. Außerdem verbessern wir unser Packaging. Wir wollen selbst so wenig Müll wie möglich produzieren, aber eben auch unseren Kund:innen die Möglichkeit geben, verpackungsfrei zu shoppen. Wir versuchen, mehr vegane Produkte zu entwickeln, unseren Rohstoff- und Energieverbrauch sowie unsere Transportwege auf ein Minimum zu reduzieren.
Protestkampagnen wie damals "Fair Trial my Arse" oder Proteste gegen Tierversuche bringen Lush immer wieder in die Schlagzeilen. Sind solche oder ähnliche Kampagnen auch in Zukunft wieder geplant?
Ende Oktober 2022 haben wir relativ spontan eine Kampagne gegen Fracking in Großbritannien gestartet, weil die Regierung beschlossen hatte, es wieder zu erlauben, nachdem es bereits verboten war.
Parallel arbeiten wir für 2023 gemeinsam mit LGBT+-Gruppen an einer globalen Kampagne gegen Gay-Conversion-Therapy.
Über weitere globale oder auch nationale Kampagnen darf ich leider noch nicht sprechen. Die dürfen zu diesem Zeitpunkt noch nicht kommuniziert werden.
Wie ist es, sich als Beauty-Brand in politischen oder gesellschaftskritischen Diskussionen zu behaupten? Wird man ernst genommen?
Unsere Regierung in UK hat getwittert: "Shut up and just make Soap." Manchmal ist es ganz schön schwer, sich zu behaupten und ernst genommen zu werden. Aber wir sind Bürger:innen dieser Erde. Wir alle. Unsere Zukunft geht uns alle an. Außerdem hat jede:r von uns das Recht, sich zu äußern und einzusetzen. Somit hat auch jedes Business ein Recht, seine Stimme einzusetzen.
Oft bekommen wir Feedback, das in die Richtung geht: Was habt ihr damit zu tun? Ihr seid eine Beauty Brand. Oder: Was geht euch das an? Ihr macht Badebomben.
, Hilary Jones, Lush
Eine der aufsehenerregendsten Aktionen war wohl der Protest gegen Tierversuche mit Aktivistin Jacqueline Traide, die eine grausame Laborsituation nachstellte. Wie waren damals die Reaktionen der Lush-Kund:innen?
Es gab einige schockierte Reaktionen von den Medien, aber ansonsten hat die Öffentlichkeit die Kampagne eigentlich gut aufgenommen.
Ich war damals den ganzen Tag lang dabei, während die Kampagne lief, und an der Aktivistin Jacqueline Traide live Tierversuche in unserem Schaufenster durchgeführt wurden. Wir wollten damals veranschaulichen, wie unerbittlich und grausam Tierversuche für Tiere sind. Ja, es war radikal. Aber am Ende des Tages konnte sie trotz allem nach Hause gehen. Tiere können das nicht.
Der Charity Pot hat inzwischen Kultstatus erreicht und der Slush Fund steht für nachhaltige Charity. Beide Hilfsprojekte haben sich bewährt. Was kommt als Nächstes in Sachen Charity Work?
Wenn wir spenden, dann immer aufbauend auf den Charity Pot. Wir haben daher aktuell nichts Neues geplant, das dieses Konzept ersetzen soll, sondern wir wollen das Programm fortführen und weiterentwickeln.
Der Charity Pot, der 2007 ins Leben gerufen wurde, hat seitdem mehr als 76 Millionen Euro für über 13.700 gemeinnützige Organisationen auf der ganzen Welt gesammelt. Das Konzept ist einfach, aber effektiv. 100 Prozent des Nettoverkaufspreises einer Bodylotion (je nach Größe von 7€ bis 23€) werden gespendet. Die Spenden gehen in einen Fund, mit dem schließlich Organisationen, Initiativen und ausgewählte Zwecke unterstützt werden, die sich für Tier- und Umweltschutz oder Menschenrechte einsetzen.
Man kann sich für die Unterstützung eines Projekts bei uns bewerben. Allerdings wählen wir nur sehr kleine Gruppen, Organisationen und Initiativen aus, keine registrierten Charityprojekte, sondern Graswurzelorganisationen und kleine lokale Bürgerinitiativen. Auf diese Weise investieren wir in möglichst viele verschiedene kleine Projekte und Organisationen, stets in Summen unter 10.000 Pfund.
Ein ähnlich langlebiges Projekt ist der Lush Prize. Der Award besteht schon seit zehn Jahren mit dem Ziel, Tierversuche ausnahmslos abzuschaffen. Der Lush Prize zeichnet Organisationen, Projekte und Aktivist:innen weltweit aus, die an diesem Ziel arbeiten. Die Lush Prizes 2022 wurden im November verliehen. Eine Auszeichnung ging unter anderem auch an eine Forscherin aus Deutschland. Dr. Johanna Walter aus Köln versucht mit ihrer Arbeit "Ärzte gegen Tierversuche", Tierversuche gesetzlich zu verbieten – und zwar aus wissenschaftlichen Gründen. Neben den ethischen Hintergründen gibt es nämlich auch genügend wissenschaftliche Gründe, die für wesentlich bessere Alternativen sprechen.
Lush hat schon einmal seine Shops und Headquarters geschlossen, um sich Fridays for Future anzuschließen. Wie setzt sich die Brand heute noch für Klimaschutz ein?
Klimaschutz war und ist ein großes Thema für Lush als Unternehmen. Das letzte aktuelle Beispiel für unseren Einsatz ist die Fracking Kampagne, die wir gerade gestartet haben. Solche und ähnliche Projekte und Kampagnen wird es in Zukunft immer wieder geben.
Was Fridays for Future angeht, hatten wir bei Lush das Gefühl: Niemand hörte auf die Wissenschaft. Für eine viel zu lange Zeit hat man die Warnungen der Wissenschaftler:innen ignoriert. Das ging schließlich soweit, dass Kinder auf die Straßen gingen, um sich Gehör zu verschaffen. Aber auch ihnen hörte niemand wirklich zu.
Wir wollten nicht so sein. Wir wollten weder die Kinder, noch die Wissenschaft, noch die Umweltkrise einfach ignorieren. Wir wollten die Brand sein, die zuhört, aber auch unterstützt, sich stark macht, die eigene Stimme nutzt und laut wird.
Lush verzichtet seit einem Jahr auf einen Social Media Auftritt, was hat sich seitdem verändert?
Es ist natürlich schwieriger geworden, unsere Messages zu kommunizieren. Das ging über die großen Social Media Reichweiten wesentlich schneller. Trotzdem würde ich sagen: Eigentlich hat sich nicht genug verändert. Wir haben uns von Facebook, Instagram, Snapchat und TikTok zurückgezogen, weil wir über die Geschäftspraktiken dieser Plattformen einfach nicht länger hinwegsehen konnten. Es wäre schön gewesen, wenn sie darauf reagiert hätten oder andere sich inspiriert gefühlt hätten, Stellung zu beziehen.
Wir haben aber irgendwann verstanden, dass die Unternehmen hinter den Social Media Plattformen sich der Probleme, die dort entstehen, sehr wohl bewusst sind. Sie kennen die Verantwortung und die Auswirkungen, die sie auf das Leben von jungen Menschen und auch Kindern haben. Die Zahlen von Suizidfällen unter Minderjährigen sind kein Geheimnis mehr. Die Verbindung, die in vielen Fällen zur Social Media Nutzung besteht, ist nachgewiesen. Aber trotzdem scheint es niemanden zu kümmern. Für uns ist das ungefähr so, als würden wir einen gesundheitsschädlichen, gefährlichen Inhaltsstoff in unsere Produkte geben, weil es uns einfach egal wäre.
Wir sind offen für Alternativen, für neue Wege der Kommunikation und der Vernetzung. Wir wollen Teil moderner, alternativer Lösungen sein, aber bisher haben wir sie noch nicht gefunden. Und solange wir nicht Teil der Lösung sein können, wollen wir wenigstens nicht Teil des Problems sein.