Von verpöhnt bis akzeptiert
Die Wahrheit über Körperbehaarung bei Frauen: Ein individuelles Schönheitsideal
Körperbehaarung ist gesund, wichtig, natürlich - und schön. Doch vor allem für Frauen ist ein behaarter Körper immer noch oft ein Tabu, viele schämen sich sogar für ihre Körperbehaarung. Wieso wir das aber gar nicht müssen und warum jeder, der will, seine Haare wachsen lassen kann und dazu stehen sollte, erklären wir euch hier...
Vielleicht habt ihr euch die Frage auch schon mal gestellt: Warum denken immer noch so viele Menschen, Körperbehaarung wäre eklig, etwas wofür man sich schämen muss, was man verstecken und (schmerzhaft) entfernen sollte?
Nun, zunächst war dies nicht immer so. Körperbehaarung oder Haarentfernung als Schönheitsideal haben eine lange Geschichte, die eng mit Gesellschaftsnormen und Geschlechterrollen verwoben ist. So galten behaarte Frauen im Laufe der Geschichte immer wieder als ungepflegt, während behaarte Männer als besonders männlich und sogar sexy galten.
Historisch betrachtet gab es immer wieder Schwankungen, was diese Ansichten angeht, aber im letzten Abschnitt unserer modernen Gesellschaft dominierten gerade eben diese Schönheitsideale: Haare an Frauenkörpern sind eklig und gehören rasiert, gezupft, gewaxt - einfach weg. Die einzige Ausnahme: Das Kopfhaar. Hier sollte sie bitte umso mehr haben, je länger und voller desto besser (und im Zweifel wird mit Fake-Haaren nachgeholfen). Haare an Männerkörpern sind vollkommen akzeptiert, können etwas getrimmt werden, aber dürfen sonst wuchern. Hat er nämlich keine auf der Brust oder auf den Beinen wird ihm sofort ein feminine Seite angedichtet.
Dabei ist es doch wirklich verrück. Wir alle haben Körperhaare. Natürlich variiert dabei von Körper zu Körper wie dicht und lang sie an den verschiedenen Körperstellen sind. Das ändert aber nichts daran, dass jedem von uns Haare am Körper wachsen. Warum also werden sie nicht als diese vollkommen normale Jedermanns-Sache hingenommen, die sie sind?
Warum war Körperbehaarung jahrelang ein Tabu-Thema bzw. ist es immer noch?
Billie, ein Unternehmen, das Rasierapparate für Frauen herstellt, ist das erste Unternehmen, das in seinen Anzeigen und Werbespots tatsächlich Körperhaare von Frauen zeigt. In der Werbung sind Frauen mit Haaren an verschiedenen Körperstellen zu sehen, Haare in den Achselhöhlen und der Bikinizone, und sie zeigt, wie der Rasierer die Haare entfernt. Georgina Gooley, Mitbegründerin von Billie, erklärte daraufhin in einem Interview: "Wir konnten nicht umhin, die überwältigende Menge an haarloser Haut in Rasiererwerbungen zu bemerken. Wir fanden es seltsam, dass diese Marken nur Frauen zeigen, die glatte und haarlose Beine 'rasieren'."
Diese Werbekampagne stieß nicht auf uneingeschränkte Unterstützung und positive Resonanz. Im Gegenteil neben dem Zuspruch hagelte es Kritik und vor allem Kommentare die Bilder als "ekelhaft" beschreiben.
Woher kommt dieser Ekel gegenüber Körperbehaarung im allgemeinen und weiblicher Körperbehaarung im Besonderen?
Wie die meisten Schöheitsideale ist auch dieses ein gesellschaftlich konstruiertes und anerzogenes. Wir lernen früh und eindringlich, dass Haare am Körper unhygienisch und Haare auf dem Kopf schön sind. Uns wird beigebracht, dass Frauen mit rasierten Beinen und Männer mit behaarter Brust (aber bitte nicht zu stark) sexy sind. Während Frauen mit Haaren auf dem Brauch und Männer mit rasierten Beinen abstoßend sind.
Übrigens: Mehr zum Thema Körperbehaarung gibt's im Clip
Wimperntuscheln Folge 11: Körperbehaarung - Von Girlpower und Epilations-Panik
Anstatt Körperbehaarung mit Worten wie normal, natürlich oder gar schön zu verknüpfen, assoziieren wir sie mit Worten wie eklig, ungepflegt und hässlich. Sehen wir also Körperbehaarung an uns selbst oder jemand anderem, dann stellt unser Hirn sofort die erlernte Verbindung her. Körperhaare = Ekel, und ein Schauer überkommt uns.
Das selbe Prinzip funktioniert auch schon seit Jahrhunderten mit Körperfett, unreiner Haut und vielen weiteren Beautystandards.
Wie praktisch, dass sich mit diesen Schönheitsidealen und der Angst, ihnen nicht zu entsprechen richtig viel Geld machen lässt. Egal ob mit Produkten und Treatments, die lästige Körperbehaarung oder andere Makel beheben sollen. Der Beautymarkt wird nicht müde unseren Ekel und somit auch unsere Selbstzweifel weiter zu schüren, denn hätten wir keinen Grund mehr uns zu ekeln, dann würden wir uns auch nicht mehr rasieren, trimmen, epilieren, waxen oder mit Fäden und Zuckerpasten enthaaren lassen.
Dass Körperbehaarung nicht besprochen wird und als Tabuthema gilt hat also vor allem damit zu tun, dass wir sie mit einem Gefühl von Abneigung und einer Zuweisung von schlechter Hygiene assoziieren. Um dies zu ändern müssen wir darüber sprechen, dass dies absolut nicht stimmt. Körperhaare sind weder ekelhaft noch unhygienisch, sondern eben natürlich und sogar gesund und wichtig für den Körper. Somit schließt sich der Teufelskreis, denn wer spricht schon gerne über ein mit Tabu-Thema? Niemand. Also müssen wir es tun. Hier und jetzt.
Zum Glück haben bereits einige wenige ihre Stimmen erhoben und vor allem ihre Reichweiten genutzt. Wie zum Beispiel Solana in ihrem viralen TikTok Video.
Das virale TikTok Video über unterschiedliche Körperbehaarung-Standards für Männer und Frauen
Die TikTokerin Solana - die unter dem Benutzernamen @solanathegreenfairy auftritt - erklärte in einem ihrer bekanntesten Videos, dass Schönheitsnormen nichts weiter als ein soziales Konstrukt sind, die im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben.
"Lasst uns drüber reden, warum wir als Gesellschaft erwarten, dass Frauen sich rasieren", begann Solana das Video, das seit dem Hochladen im Mai 2021 millionenfach angesehen und geteilt wurde. "Frauen haben sich in unserer westlichen Welt nicht immer rasiert. Vor 1915, als Gillette seinen ersten 'sicheren Rasierapparat' herausbrachte, war es sogar überhaupt nicht üblich. Aber die Kampagne von Gillette suggerierte damals, dass Frauen, weil es jetzt "sichere'" Rasierapparate gibt, diese auch für die Rasur ihrer Körperhaare verwenden sollten."
Solana erklärt weiter, wie mit dem Aufkommen ärmelloser Kleider die Gesellschaft begann, Achselhaare als modischen Fauxpas zu betrachten. Als dann im Zweiten Weltkrieg Nylonstrümpfe knapp wurden, wurde Frauen eingeredet, dass sie sich auch ihre Beine rasieren müssten, um als gesellschaftsfähig zu gelten. Mit der Zeit verstärkten die Modebranche, weitere Beautyprodukte, Zeitschriften, Pornografie und eine immer explizitere Popkultur den Schönheitsstandard haarloser Körper für Frauen.
"Aber wir leben jetzt im 21. Jahrhundert. Viele Menschen verstehen jetzt, dass Körperbehaarung bei Frauen nicht unhygienisch oder eklig ist", betont Solana in dem Video und geht schließlich auf den Konflikt zwischen Frauen und Männern in der Problematik ein. "Da Männer nie unter Druck gesetzt wurden, sich zu rasieren, und niemand jemals ihre Hygiene in Frage gestellt hat, wurde diese, wie die meisten Schönheitsnormen in unserer Gesellschaft, von Männern geschaffen, und Frauen auferlegt."
Körperbehaarung wurde und wird immer noch stark stigmatisiert und mit Scham besetzt. Ihre Entfernung ist eine der wenigen ästhetischen Behandlungen, die sich von einer Schönheits- zu einer Hygieneroutine weiterentwickelt hat. In den letzten Jahrzehnten hatten die meisten Frauen das Gefühl, dass sie sich rasieren müssen. Als ob sie keine andere Wahl hätten.
Es gibt sogar die Theorie, dass die moderne Ansicht unhygienischer und unweiblicher Körperhaare bis zu Charles Darwins Buch "Descent of a Man" von 1871 zurückverfolgen lässt. Seine These der natürlichen Selektion setzt Körperbehaarung mit "primitiver Abstammung und einer Rückkehr zu früheren, 'weniger entwickelten' Menschen in Verbindung". Darwin vertrat auch die Ansicht, dass weniger Körperbehaarung ein Zeichen dafür sei, dass der Mensch entwickelter und sexuell attraktiver sei.
Als Darwins Ideen an Popularität gewannen, begannen auch andere medizinische und wissenschaftliche Experten des 19. Jahrhunderts, Behaarung mit "sexueller Inversion, Krankheitspathologie, Wahnsinn und krimineller Gewalt" in Verbindung zu bringen. Ironischerweise wurden diese Assoziationen jedoch nie auf die Körperbehaarung von Männern angewandt.
Dies unterstützt schließlich die Aussage von Solana, dass haarlose Schönheitsideal für Frauen und dessen Vermarktung eine heteronormative Methode ist, um Frauenkörper und das Selbstbild der Frau durch Scham zu kontrollieren.
Solana erwähnt in ihrem TikTok, aber auch, dass es immer wieder Wellen des Widerstands gegen den haarlosen Trend gab. "In den späten 1960er- und 1970er-Jahren waren Körperhaare durchaus keine Seltenheit und sogar im Playboy zu sehen. Zu dieser Zeit gab es Bewegungen wie die zweite Welle des Feminismus und die Verbreitung der Hippiekultur, die beide haarlose Körper ablehnten. Für viele Frauen war die Körperbehaarung ein Symbol für ihren Kampf um Gleichberechtigung."
"Was die Körperhaarentfernung wirklich zu einem prominenten Schönheitsstandard machte, war die steigende Popularität von Waxing, Pornografie und zunehmend expliziter Popkultur", fügt sie hinzu. Die Entfernung von Körperhaaren wurde nicht länger nur erwartet, sondern zur Norm erklärt. Unbehaart zu sein wurde als die einzige 'natürliche' und 'saubere' Art angesehen, den Körper zu präsentieren.
Wir scheinen uns am Peak und somit vielleicht am Wendepunkt dieser Ansichten zu befinden. Aber dafür brauchen Körperhaar eine neues Image, weg von Ablehnung, Scham und Ekel, hin zu Wertschätzung oder zumindest Akzeptanz.
Wie kam der Wandel von Scham vor der Körperbehaarung zum Schönheitsideal zu Stande?
Wir mögen vielleicht noch nicht am Ziel sein, aber wir scheinen uns an einem Wendepunkt zu befinden. Wer und was uns hierher geführt hat? Feminismus, eine radikale Gleichberechtigungsbewegung, die LGBTQ+-Szene, Gen Z, Social Media und eine Pandemie, oder besser gesagt ein wilder Mix aus alldem.
Es sind gerade Frauenkörper und weibliche Körperhaare welche die Diskussion um entfernen oder wachsen lassen immer noch anheizen. So sind es auch allen voran Frauen, die für einen ersten Umschwung und eine leichte Tendenz der Veränderung gesorgt haben. Was die Rolle der Männer in dem Szenario nicht schmälert. Im Gegenteil! Wer sich als Mann pro Natürlichkeit und Entscheidungsfreiheit positioniert trägt einen riesigen Teil zur Gleichberechtigung für alle Geschlechter bei.
Nun sind es aber trotzdem vor allem junge Gen Z-Mädchen, die besonders lautstark an der Diskussion teilnehmen indem sie sich demonstrativ und gut sichtbar alle Körperhaare wachsen lassen.
Laut der YouGov-Body-Image-Studie aus dem Jahr 2021 ist es 35% der Amerikanern egal, ob sich Frauen rasieren oder nicht, während 7% sagen, sie sollten sich nicht rasieren. Bei den Befragten im Alter zwischen 18 und 35 Jahren war weibliche Körperbehaarung noch wesentlich besser etabliert: Die Mehrheit gab an, dass sie Achselhaare entweder attraktiv finden oder dass es ihnen egal ist, ob eine Frau sie hat.
Es scheint also eine Generation heranzuwachsen, die Körperbehaarung tatsächlich auf die Beauty Agenda holen könnte. Nur leider steckt diese Generation noch Mitten in einer haarlosen Beautywelt fest. "Ich bin nicht bereit, mich zu rasieren. Das ist Teil meines Markenzeichens", sagt das 25-Jährige Model Jordan. "Ich versuche, das zu normalisieren", sagte sie. Auch wenn sie dafür auf einige Buchungen, Jobs und Kooperationen verzichten muss. Laut Beautyindustrie ist Körperbehaarung nämlich noch längst kein anerkanntes Schönheitsideal.
Anders sieht es auf TikTok aus, wo der Hashtag #bodyhairisnatural mehr als 92 Millionen Aufrufe hat. Auf Instagram hingegen wurde das Supermodel Ashley Graham zunächst mehr attackiert als dafür gefeiert, dass die ihre behaarten Achselhöhlen zur Schau stellte. Schließlich brachte ihr die Aufmerksamkeit auf Social Media aber einen Zusammenarbeit mit der Rasierermarke Harry's ein. Unter dem Hashtag #bodyhairmovement posten Frauen bewusst Bilder ihrer Körperbehaarung in den sozialen Medien. Es gibt online ein ganzes Pro-Körperhaar-Netzwerk, wo Aktivistinnen wie Delali (@healing_babe) versuchen mit ihren Postings anderen Frauen in ihrer Natürlichkeit bestärken wollen: "Meine Haare wachsen zu lassen und nicht das Gefühl zu haben, dass ich mich anpassen und verändern muss, weil ich nicht so 'glatt' und weich bin, wie es Frauen sein sollen, hat mir Raum zum Atmen gegeben."
Und was haben Emma Corrin, Amandla Stenberg, Lourdes Leon und Miley Cyrus gemeinsam? Sie alle nutzen ihr Rampenlicht und die Aufmerksamkeit, welche sie von der Öffentlichkeit bekommen, um stolz ihre Achselhaare zu präsentieren.
In einem kürzlichen Interview verriet Emma: "Schönheit bedeutet für mich schon immer, mich wie ich selbst zu fühlen. Wie ich mich präsentiere, was ich mit meinem Make-up, meiner Körperbehaarung, meinen Haaren oder meinem Äußeren mache, wird immer davon abhängen, was ich fühle."
Klingt fast schon revolutionär, als müsste sie sich für ihre Haare rechtfertigen. Dabei sollte Körperbehaarung nicht ungewöhnlich sein. Nur in einer Gesellschaft und Kultur, die sich auf der Kontrolle und Überwachung von Frauenkörpern aufbaut ist es tatsächlich ein radikaler Akt.
Doch wir haben A-Listers wie Adele, die bereit sind, Klartext zu reden: "Ich lasse mir von keinem Mann sagen, dass ich mir die Beine rasieren soll." Wir haben Filmstars wie Emma Watson, die ihre Schamhaare beiläufig in einem Interviewgespräch erwähnte: "Ich verwende Fur Oil überall, von meinen Haarspitzen über meine Augenbrauen bis hin zu meinen Schamhaaren." Wir haben soziale Aktivist:innen und Influencer:innen wie Florence Given, die in einem Kapitel ihres Buchs "Women Don't Owe You Pretty" schrieb: "Scheiß auf eure überteuerten rosa Rasierer, ich werde jetzt eine haarige Schlampe sein." und "Ich hasse es, wenn man mir sagt, was ich mit meinem Körper tun soll." Und dann gibt es noch Sex-Positivity-Aktivistinnen wie Cat Lygate von der Sex-Positive-Community UnGirl, die erklärt: "Du hast die Wahl und die Macht zu entscheiden, was du mit deinem Körper machst, egal, was die Leute dir sagen. Das zu erkennen, ist unglaublich ermutigend."
Es gibt sie also, die Stimmen die sich für Körperhaare einsetzen und sagen sie wollen normalisieren was im Grunde immer normal war oder sein sollte.
Was die Bewegung befeuert: Ausgerechnet die Corona-Pandemie! Diese hat die Akzeptanz von Körperbehaarung in der Bevölkerung beschleunigt. Der Lockdown hat unsere Routinen verändert. Wir alle hatten keinen Zugang zu Salons und Treatments und plötzlich auch keinen Grund mehr sich zu rasieren. Allein das beweist zur genüge, dass die meisten Frauen sich nicht aus Selbstliebe enthaaren. Bleibt nun allerdings die Frage, wie viele eine Leben mit Körperhaaren auch mit zurückgewonnener Freiheit und Sozialleben beibehalten? Und wie viele überdenken, ob es sich tatsächlich lohnt die alten Routinen mit all der Mühe und Zeitintensität wieder aufzunehmen?
Immerhin hat der Lockdown unsere Körperbehaarung auf die Beautyagenda geholt und der wirklich schleppenden Revolution einen Schubs in die richtige Richtung verpasst.
Von Models über Schauspieler:innen, bis hin zu Influencer:innen und weniger berühmten Social Media Nutzer:innen zeigen immer mehr Menschen, Männer und Frauen online ihre Körperbehaarung und beschreiben das Gefühl das sie dabei empfinden als "sexy", "befreiend" und "bestärkend".
Egal wie groß oder klein das Publikum sein mag, welches diese Postings sieht, die Bilder und Videos polarisieren. Körperhaare sind ein Statement für Gleichberechtigung und Freiheit. Sie scheinen aktuell nur in zwei Lagern auffindbar zu sein: gefeiert oder verpönt. Dabei sind sie menschlich und natürlich.
Körperbehaarung: Ein Ideal, welches von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte
Es ist so simpel, aber scheint uns allen so schwer zu fallen: Jeder darf mit seinem Körper machen was er möchte - natürlich unter der Prämisse, die eigenen Körperdarstellung und -pflege ist ungefährlich für einen selbst und alle anderen.
Wir alle dürfen Körperhaare tragen oder eben nicht tragen wie es uns gefällt. Wir dürfen unsere Körper schmücken. Wir dürfen unsere Haare, Gesichter und Körper stylen. Wir dürfen mehr oder weniger wiegen. Wir dürfen uns selbst so darstellen wie wir es möchten, ohne dass irgendjemand etwas dazu, darüber oder dagegen sagen könnte.
Warum haben also so viele Menschen eine so starke Meinung zu fremden Körper und werden dabei nicht müde sie kundzutun? Schönheitsideale sind alle ausnahmslos ausgedacht und somit doch eigentlich machtlos, sobald man ihnen keine Bedeutung mehr zuschreibt und aufhört sie zu sehen, zu kommunizieren und weiter zu verbreiten.
Körperbehaarung ist natürlich. Eine Gesellschaft, die anders denkt, ist gefährlich
Sichtbare Körperbehaarung ist auch heute 2022 immer noch selten. So selten, dass Achselhaare an Prominenten zu einer Nachrichtenstory werden. Mozart in the Jungle-Darstellerin Lola Kirke bekam sogar Todesdrohungen, weil sie sich ihre Achselhaare nicht rasiert! Wenn es also bewusst passiert dann ist das Zeigen von Körperbehaarung in der Öffentlichkeit - selbst am Strand, wenn wir nur sehr wenig tragen - fast schon ein politisches Statement.
Es ist der behaarte Körper, der hervorsticht, der als unnormal und unnatürlich gilt, obwohl Haare an unserem Körper jeden Moment unseres Lebens wachsen.
Somit sind wir noch lange nicht am Ziel. Körperhaare sollten nicht aufgeladene Aufreger oder Statements sein, sondern so normal, dass ihnen keine Beachtung mehr geschenkt wird.
Wenn wir "haarlose Normalität" anstreben, Idealen entsprechen und unsere Haare ganz von unserem Körper verbannen wollen, brauchen wir mehr Rasier und andere Tools, müssen mehr zupfen, wachsen und lasern. Dieses Maß an "Pflege" ist anstrengend, anspruchsvoll, konstant und wird fast täglich wiederholt. Doch wie anstrengend es ist wird kaum anerkannt. Nö! Stattdessen gehört es zum Schönsein dazu.
Wenn der haarlose Körper der einzig akzeptable Körper sein soll, ist das Enthaaren keine Schönheitspflege mehr, sondern wird als Hygienepraxis definiert, als Teil einer Routine, die von jeder Frau erwartet wird. Die Haarentfernung wird zu etwas, das wir tun müssen, zu einer Anforderung. Es ist keine Option, die man ablehnen kann, wie schminken. Es ist viel mehr wie Zähneputzen, nur ohne die gesundheitlichen Vorteile.
Schönheitspraktiken sind nachsichtig und optional; Hygienepraktiken sind notwendig und erforderlich. Man muss keine Schönheitspraktiken durchführen, aber man muss etwas tun, das erforderlich ist, um Mindeststandards zu erfüllen, einfach um normal zu sein. Das ist mit der Entfernung von Körperhaaren längst passiert. Sie ist Routine geworden.
Doch hier liegt das gefährliche Problem: Haare sind nicht unhygienisch. Haare sind normal und natürlich. Ein vollkommen haarloser Körper ist es nicht.
Indem wir aus einem Ideal eine Norm machen und versuchen dieser Norm zu entsprechen müssen wir nicht nur viel Zeit Geld und Energie aufwenden, sondern wir schaffen Abgrenzung und Ablehnung, Schuldgefühle und Scham, Druck und sogar Angst für alle, die nicht in diese Norm passen.
Dies wird vor allem dann zum Problem, wenn Menschen krankheitsbedingt oder erblich veranlagt besonders stark behaart sind.
So ist zum Beispiel Hirsutismus ein solches Phänomen. Von Hirsutismus spricht man dann, wenn die Behaarung von Frauen dem männlichen Verteilungsmuster sehr nahekommt. Also Haare auf dem Kinn, der Oberlippe, dem Hals, Rücken und auf der Brust. Auch in diesen Fällen gibt es ganz unterschiedliche Ausprägungen. Schließlich gibt es auch unter Männern bzw. allen Geschlechtern sehr stark behaarte und kaum behaarte Menschen. Das Spektrum an möglicher Körperbehaarung ist endlos breit gefächert und trotzdem versuchen "alle" derselben neuen Norm zu entsprechen.
Schönheit, Körperideale und Pflegenormen haben inzwischen noch viel mehr Aspekte unseres Lebens durchwachsen. Unser Aussehen wird immer wichtiger. Es ist das, worüber wir nachdenken, worüber wir sprechen und wofür wir unsere Zeit und unser hart verdientes Geld aufwenden. Erst wenn wir schön sind, halten wir uns für begehrens- und liebenswert, für wertvoll und erfolgreich. Wir beurteilen auch andere nach ihrem Aussehen. Wir stellen Vermutungen darüber an, wie Menschen sind. Wir lesen Charaktereigenschaften direkt aus dem Aussehen ab.
Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um Körperbehaarung nicht oberflächlich, trivial oder unbedeutend. Körperbehaarung zu tragen oder zu entfernen ist kein modischer Fauxpas oder eine Frage von in oder out. Wenn Schönheit zu Ethik wird, wird Körperscham zu Selbstscham.
So sehr wir Beauty, Trends und Styling auch lieben, so sehr wollen wir auch diesen Unterschied und den Schmalen Grad der Ideal von Norm trennt hervorheben. Was im Fall von Körperbehaarung passiert ist, muss dringend umgekehrt werden. Und viele Menschen, Marken und Communities der Beautybranche arbeiten auch schon daran. Vor allem aber darf derselbe Vorgang nicht mit anderen Schönheitspraktiken passieren. Wir müssen unbedingt weiter im Auge behalten was natürlich ist und was ein frei erfundener Trend, ein Ideal oder wenig erstrebenswerter Kult ist.
Warum ist Körperbehaarung gesundheitlich wichtig?
Auch heute noch hat Körperbehaarung gesundheitliche Funktionen. Sie soll vor Kälte, aber auch vor UV-Strahlung und die Haut vor Reibung schützen. Außerdem dienen Körperhaare auch zur körpereigenen Temperaturregulierung.
Ist Körperbehaarung nicht hygienisch?
Ob rasiert oder haarig ist vollkommen egal. Es macht keinen Unterschied , da sind sich Expert:innen und Mediziner:innen einig. Waschen ist für die körperliche Hygiene wichtig, egal ob mit oder ohne Haar.
Spezielle Ausnahme: Wer sich beim rasieren schneidet muss die Wunde desinfizieren, denn dann erst dann wird die Rasur tatsächlich unhygienisch.
Wird Körperbehaarung im Alter mehr oder weniger?
Tatsächlich bekommen Frauen und Männer, wenn sie ihr Haupthaar hormonbedingt verlieren, gleichzeitig an manchen Körperstellen vermehrt Haare. Während aber die Schambehaarung und Achselbehaarung im Alter dünner wird.