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Gezielte Ermordung statt natürlicher Tod

Geleakte Dokumente aus Russland deuten auf gezielte Vergiftung von Nawalny hin

  • Aktualisiert: 30.09.2024
  • 17:12 Uhr
  • Michael Reimers
Russland, 24. Mai 2022: Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny ist während einer Gerichtsanhörung zur Prüfung eines Einspruchs gegen seine Haftstrafe in Moskau über eine Videoverbindung aus der Strafkolonie IK-2 in Pokrow auf einem Bildschirm zu sehen.
Russland, 24. Mai 2022: Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny ist während einer Gerichtsanhörung zur Prüfung eines Einspruchs gegen seine Haftstrafe in Moskau über eine Videoverbindung aus der Strafkolonie IK-2 in Pokrow auf einem Bildschirm zu sehen.© REUTERS/Evgenia Novozhenina

Was Menschenrechtsorganisationen bei Alexej Nawalnys Tod sofort annahmen, scheinen Ermittlungsberichte nun zu bestätigen: Der Kreml-Kritiker starb im sibirischen Straflager nicht eines natürlichen Todes.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Einem Medienbericht zufolge weisen interne russische Dokumente darauf hin, dass Wladimir Putins Widersacher Alexej Nawalny vergiftet wurde.

  • Der Kreml behauptet hingegen, der populäre Oppositionspolitiker sei eines natürlichen Todes gestorben.

  • Menschenrechtsorganisationen hatte diese offizielle Todesursache von Anfang an bezweifelt.

Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny ist vergiftet worden. Das berichtet das russische Medienportal "The Insider" (29. September), das vom Kreml als "unerwünschte Organisation" eingestuft wurde und inzwischen aus dem Ausland arbeitet. Dem Bericht zufolge liegen "The Insider" Hunderte offizielle Dokumente vor. Es handele sich um interne Akten der russischen Ermittlungsbehörde, die den Tod des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny in der sibirischen Strafkolonie Polarwolf am 16. Februar 2024 untersuchten.

Offiziell habe der Kreml zwar behauptet, der Tod Nawalnys sei auf natürliche Ursachen zurückzuführen. Der Inhalt der Dokumente, die der Redaktion vorlägen, zeigten jedoch, dass die russischen Behörden aus den Unterlagen sämtliche Hinweise auf Symptome entfernt hätten, an denen Nawalny nachweislich gelitten habe: Symptome, die nicht zur offiziellen Todesursache des russischen Staates passen. Die Akten, die "The Insider" zur Verfügung stehen, sollen zwei Versionen enthalten, die der russische Ermittler Alexander Warapajew unterzeichnet habe. In dem Dokument geht es demnach um die Entscheidung der russischen Ermittlungsbehörde, kein Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Tod des verstorbenen Oppositionsführers Alexej Nawalny am 16. Februar 2024 im russischen Gefängnis Polarwolf einzuleiten.

Im Video: Botschaft von Nawalny kurz vor seinem Tod

Nawalny musste sich vor seinem Tod übergeben

Dem Bericht zufolge beschreibt die erste Version von Warapajew Nawalnys Symptome folgendermaßen: "Am 16.02.2024 verspürte der Verurteilte A.A. Nawalny eine starke Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, während er sich im Übungshof Nr. 2 des EPKT aufhielt, worüber er den diensthabenden Offizier der Anstalt informierte, der ihn aus den Räumlichkeiten des Übungshofes in die Räumlichkeiten des Abschnitts Nr. 4 des EPKT brachte. Dort legte sich der Häftling A.A. Navalny auf den Boden und begann über starke Schmerzen in der Bauchgegend zu klagen; er begann reflexartig seinen Mageninhalt auszustoßen, hatte Krämpfe und verlor das Bewusstsein, was sofort dem medizinischen Personal der Justizvollzugsanstalt gemeldet wurde."

Medizinische Expert:innen zufolge weisen diese Symptome eindeutig darauf hin, dass Nawalny vergiftet wurde, heißt es in dem Bericht weiter. In der späteren und offiziellen Fassung desselben Untersuchungsberichts sei jedoch jeder Hinweis auf Bauchschmerzen, Erbrechen und Krämpfe gestrichen worden.

Im Video: US-Medien - Putin hat Tötung Nawalnys wohl nicht direkt beauftragt

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Zweifel an offizieller Version scheinen sich zu bestätigen

Ein weiterer Beweis dafür, dass Nawalny vergiftet worden sei, liege der Redaktion mit einem Dokument vor, das ein Verzeichnis der "beschlagnahmten Gegenstände" enthalte, die am Tatort von Nawalnys Tod sichergestellt wurden. Die Liste führt "Proben von Erbrochenem" auf, die dem Dokument zufolge zur Untersuchung vorgelegt wurden. Dass sich Nawalny vor seinem Tod übergeben musste, sei offiziell bisher nicht mitgeteilt worden. Die Dokumente bestätigen nach Angaben von "The Insider" damit die Aussage von Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja, die erklärt hatte, dass "Alexej in den letzten Minuten vor seinem Tod über akute Magenschmerzen klagte". In der offiziellen Schlussfolgerung der russischen Behörden habe es jedoch geheißen, dass Nawalny eines natürlichen Todes gestorben sei und dass der Vorfall "keinen kriminellen Charakter" gehabt habe.

Dem Notarzt Alexander Polupan zufolge, der Nawalny nach dessen Nowitschok-Vergiftung im Jahr 2020 im Omsker Stadtkrankenhaus Nr. 1 behandelt habe, passen die medizinischen Symptome im Fall von Nawalnys Tod im Gefängnis nicht zu der offiziell erklärten Diagnose: "Die offizielle Todesursache - eine Herzrhythmusstörung - würde in keiner Weise die in der Entschließung beschriebenen Symptome erklären: starke Bauchschmerzen, Erbrechen oder Krampfanfälle. Diese Symptome lassen sich kaum anders als durch eine Vergiftung erklären. Das kurze Intervall zwischen den Bauchschmerzen und den Krämpfen legt die Möglichkeit einer Exposition gegenüber einem phosphororganischen Wirkstoff nahe, der zur gleichen Substanzklasse wie Nowitschok gehört, aber in diesem Fall möglicherweise innerlich und nicht äußerlich angewendet wurde."

:newstime

Auch andere von "The Insider" befragte Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen stimmen dem Bericht nach Polupans Schlussfolgerungen zu. Als ein weiteres, wenn auch indirektes Indiz für die Verwendung einer giftigen Substanz deutet der Bericht die Weigerung der russischen Behörden, Nawalnys Leiche freizugeben und eine unabhängige Untersuchung biologischer Proben zuzulassen.

  • Verwendete Quellen:
  • The Insider: "'He began to complain of sharp pain in the stomach': Official documents obtained by The Insider confirm Navalny was poisoned in prison"
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