Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj: Vom Comedian zu Putins Widersacher
- Veröffentlicht: 07.03.2022
- 15:45 Uhr
- Galileo
Bevor er zum ukrainischen Präsidenten wurde, war Wolodymyr Selenskyj als Comedian bekannt. Putin nahm ihn deshalb lange nicht ernst. Doch im Ukraine-Krieg spielt Selenskyj eine zentrale Rolle. Wir werfen einen Blick auf seine bewegte Amtszeit. Im Clip: So erleben Ukrainer:innen im Ausland den Krieg.
Das Wichtigste zu Wolodymyr Selenskyj
Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj kommt 1978 im Südosten der damaligen sowjetischen Ukraine zur Welt. 2019 wird er im Alter von nur 41 Jahren zum sechsten Präsidenten der Ukraine gewählt - dem jüngsten, den das Land je hatte.
Selenskyj stammt aus einer jüdischen Familie und wächst zunächst mit Russisch als Muttersprache auf. Seine ersten Lebensjahre verbringt er in der Mongolei. Die ukrainische Sprache lernt er erst später.
Eigentlich ist Selenskyj studierter Jurist. In russischsprachigen Ländern wird er vor seiner Präsidentschaft aber als Schauspieler, Filmproduzent und Komiker bekannt.
Selenskyj ist eine zentrale Figur im Ukraine-Krieg. Der Präsident ist - trotz Lebensgefahr - in der Landeshauptstadt Kiew geblieben und wendet sich mehrmals täglich in Videobotschaften und Interviews aus Bunkern und dem Regierungsgebäude an die Welt. Wie es für ihn und sein Land weitergeht, ist ungewiss.
Selenskyj hofft auf einen schnellen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union (EU). Doch auch wenn die EU-Abgeordneten darüber verhandeln wollen, könnte der Weg dorthin für Selenskyj und sein Land ein zu langer werden.
Die Laufbahn von Wolodymyr Selenskyj in Bildern
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj: Vom Comedian zu Putins Widersacher
Selenskyjs Aufstieg: Vom Politik-Neuling zum Präsidenten
🇺🇦 Den Grundstein für seine politische Karriere legt Selenskyj als Schauspieler: Zwischen 2015 und 2019 verkörperte er in seiner selbst-produzierten Satire "Sluha Narodu" ("Diener des Volkes") den Geschichtslehrer Wassyl "Wasja" Petrowitsch Holoborodko, der dank eines viral geganenen YouTube-Video überraschend zum ukrainischen Präsidenten gewählt wird.
🇺🇦 Seine Fernsehrolle wird für Selenskyj Realität: 2019 setzt er sich als junger Polit-Neuling in den Präsidentschaftswahlen mit rund 73 Prozent aller Stimmen gegen den damaligen Amtsinhaber Petro Poroschenko durch. Seine 2018 gegründete Partei trägt denselben Namen wie seine Erfolgsserie - Sluha Narodu.
🇺🇦 Selenskyjs Kandidatur kommt zu einem Zeitpunkt, an dem viele ukrainischen Bürger:innen das Vertrauen in die Politik verloren hatten. Umfragen zufolge wünschen sich viele einen volksnahen Präsidenten ohne politische Erfahrung.
🇺🇦 Selenskyj möchte mithilfe eines verjüngten Parlaments den seit 2014 herrschenden Donbas-Krieg in der Ostukraine beenden und die Korruption im Land bekämpfen. Außerdem will er eine wirtschaftliche Erholung der Ukraine herbeiführen und sie im Westen etablieren - als Mitglied der EU und der NATO.
🇺🇦 Die westliche Welt teilt zunächst die Hoffnungen der Ukrainer:innen. Russlands Regierung um Präsident Wladimir Putin hingegen macht sich über Selenskyj lustig, bezeichnet sein Parlament als "Zirkus".
Zu Beginn hat es Selenskyj nicht leicht
Nach der Wahl tut sich Selenskyj schwer. Er kämpft mit den starren Strukturen des ukrainischen Systems.
Schnell gerät der Präsident in offene Konfrontationen mit der konservativen Opposition, dem Verfassungsgericht, dem Oligarchentum und den Medien des Landes. Einige seiner Entscheidungen stoßen zudem auch international auf Kritik, sie gelten als "zu populistisch".
Trump erpresst den neuen Präsidenten
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wird Selenskyj - wenngleich unverschuldet - in die "Ukraine-Affäre" des damaligen US-Präsidenten Donald Trump hineingezogen.
Dieser droht dem ukrainische Präsident in einem Telefonat damit, seinem Land 400 Millionen Dollar an militärischer Unterstützung zu entziehen, wenn er ihn nicht im Wahlkampf gegen Joe Biden helfe. Selenskyj lässt sich nicht dazu drängen und weist Trumps Vorwurf, seine Regierung sei korrupt, zurück.
Als das Gespräch 2020 auffliegt, veranlassen die US-Demokraten ein Impeachment-Verfahren gegen Trump. Die Anklage: Er habe seine Macht missbraucht, um einen ausländischen Staatsmann zu erpressen.
Selenskyj verliert an Rückhalt
Auch im eigenen Land muss sich Selenskyj Vorwürfe gefallen lassen. Zwar versucht er, die Macht der Oligarch:innen in der Politik - und damit die Korruption im Land - per Gesetz einzuschränken. Doch ihm hängt selbst lange der Verdacht nach, er sei im Wahlkampf von vermögenden Personen finanziert worden.
Selenskyjs Name fällt schließlich auch noch im Zusammenhang mit den Pandora Papers - Enthüllungen über die Profiteure sogenannter Steueroasen.
Die Corona-Pandemie macht der Ukraine - ohnehin der ärmste Staat Europas - zusätzlich zu schaffen: Das Land gerät in eine wirtschaftliche Krise. In Umfragen stürzen Selenskyjs Beliebtheitswerte deshalb Ende 2020 ab.
Im Donbas-Krieg ergreift Selenskyj die Initiative
Um den seit 2014 herrschenden Konflikt in der Ostukraine zu beruhigen, sucht Selenskyj das direkte Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Rund drei Monate nach seiner Wahl führen die beiden Staatschefs ein erstes Telefonat. Später im Jahr treffen sie sich zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Deutschlands damaliger Kanzlerin Angela Merkel zu einem Gipfel in Paris.
Dort handelt Selenskyj den längsten Waffenstillstand mit Russland seit Beginn des Krieges aus. Zudem kann er Putin zu einem Austausch von Kriegsgefangenen bewegen.
Von 2021 an spitzt sich der Konflikt zu
In den ersten Monaten von 2021 meldet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) über tausend Verstöße gegen das Waffenstillstands-Abkommen im Donbas. Deshalb verschärft der ukrainische Präsident in dem Jahr seine Politik.
Selenskyj lässt drei pro-russische TV-Sender aus der Ukraine verbannen und außerdem den ukrainischen Putin-Förderer Wiktor Medwedtschuk des Hochverrats und der Finanzierung von Terrorismus anklagen. Zudem appellierte er an die NATO, den Beitritt der Ukraine zu beschleunigen.
Unter anderem mit der Begründung, eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft wäre eine Bedrohung für Russland, zieht Putin daraufhin immer mehr Truppen zusammen. Im Februar 2022 eskaliert die Lage: Russland beginnt den Krieg mit der Ukraine.
Der Präsident als Stütze im Ukraine-Krieg
Seitdem hat sich Selenskyj zur zentralen Figur des Ukraine-Kriegs entwickelt - für seine Landsleute ebenso wie für die internationale Gemeinschaft. Entgegen russischer Behauptungen ist er nicht aus dem Land geflohen, sondern verbleibt in dessen Hauptstadt Kiew.
Dabei ist nicht klar, was auf ihn zukommt. Selenskyj selbst sagt, dass er einen direkten Angriff wohl nicht überleben würde. Mehrere Mordanschläge gegen ihn sollen nach Angaben der ukrainischen Spionageabwehr bereits verhindert worden sein. Die Angebote der USA, ihn auszufliegen, hat er dennoch mit den Worten "Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit" entschieden abgelehnt.
Selenskyj meldet sich aus Kiew: "Wir sind alle hier"
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Präsenz auf Social Media
🇺🇦 Fast stündlich postet Selenskyj Videos auf seinen Social-Media-Kanälen, empfängt Journalist:innen und Politiker:innen in Kiew und hält obendrein Pressekonferenzen ab. Er gibt sich ruhig und kämpferisch, spricht seinem Volk Mut zu. Außerdem fordert er von der restlichen Welt militärische und humanitäre Unterstützung. Seine Videos beendet Selenskyj stets mit den Worten "Slawa Ukrajini" - zu Deutsch: "Ruhm der Ukraine".
🇷🇺 Russ:innen und Belaruss:innen fordert er in ihrer Sprache auf, gegen den Krieg zu protestieren.
🇺🇦 Um die Verteidigung und den Wiederaufbau seines Landes sowie die medizinische Versorgung seiner Bevölkerung zu fördern, hat Selenskyj auch die globale Crowdfunding-Kampagne "United24" gestartet. Alle 24 Stunden wird in neuen Berichten publik gemacht, wofür die ukrainische Regierung das gesammelte Geld (Stand Juli 2022 knapp 70 Millionen Euro) eingesetzt.
🇺🇦 Mit seiner Standhaftigkeit hat es Selenskyj geschafft, fast die gesamte Welt auf seine Seite zu bringen. Seine Präsenz übt auf die westlichen Länder auch Druck aus. Viele seiner Forderungen, etwa Waffen an die Ukraine zu liefern, ein EU-weites Öl-Embargo gegen Russland zu verhängen oder russische Banken von Swift auszuschließen, wurden umgesetzt.