Space-Immunschwäche: Darum werden Astronauten öfter krank
- Veröffentlicht: 26.07.2023
- 18:45 Uhr
- Christian Stüwe
Wenn Astronautinnen und Astronauten ins Weltall fliegen, werden sie anfälliger für Krankheiten und Infektionen. Das wird Space-Immunschwäche genannt. Eine Studie lieferte kürzlich dazu neue Erkenntnisse. Wir zeigen, was es damit auf sich hat.
Das Wichtigste zum Thema Space-Immunschwäche
Raumfahrtbehörden wie NASA und ESA und private Unternehmen wie SpaceX von Elon Musk haben sich für die nächsten Jahre und Jahrzehnte ehrgeizige Ziele gesetzt: Die Rückkehr des Menschen zum Mond, die dauerhafte Besiedlung des Erdtrabanten und eine bemannte Mission zu unserem Nachbarplaneten Mars.
Eines der größten Probleme dabei ist der menschliche Körper selbst. Die Schwerelosigkeit und die Strahlung haben bei längeren Aufenthalten im Weltall Auswirkungen auf die Gesundheit der Astronautinnen und Astronauten.
Auch das Immunsystem schwächelt in der Schwerelosigkeit. Menschen erkranken häufiger im Weltraum und haben mit Infektionen zu kämpfen.
Das Phänomen wird als Space-Immunschwäche bezeichnet und kann zu Erkrankungen bei den Astronautinnen und Astronauten führen. Auch nach der Rückkehr auf die Erde ist das Infektionsrisiko weiter erhöht.
Eine neue Studie ist den Ursachen der Space-Immunschwäche auf die Spur gekommen.
Gesundheitliche Gefahren im All
💪 Muskelschwund: Da das Laufen entfällt, schwächeln vor allem die Muskeln in den Beinen. Dem Muskelschwund muss mit täglichen Training entgegengewirkt werden.
🦴 Knochenabbau: Studien haben gezeigt, dass durch die Schwerelosigkeit bei einem sechsmonatigen Aufenthalt in der Raumstation ISS das Skelett so stark abgebaut wird wie in 20 Jahren auf der Erde.
🩸 Niedriger Blutdruck: Nach drei bis sechs Monaten in der Schwerelosigkeit sinkt der Blutdruck deutlich ab, weshalb Astronautinnen und Astronauten nach der Rückkehr auf die Erde oft mit Schwindel zu kämpfen haben.
🤒 Erhöhte Körpertemperatur: 38 Grad Celsius sind im Weltall normal, auf der Erde hingegen an der Grenze zum Fieber.
👓 Sehschwäche: Zwei Drittel aller Astronautinnen und Astronauten büßen bei längeren Aufenthalten im All zumindest vorübergehend Sehstärke ein.
💧 Dehydrierung: In der Schwerelosigkeit verlagern sich Körperflüssigkeiten in Richtung Oberkörper und Kopf. Der Körper reagiert darauf, indem er vermehrt Urin ausscheidet. Deshalb müssen Raumfahrer:innen sehr viel trinken, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
💓 Herz- und Kreislaufprobleme: Das Herz vergrößert sich im All, es kann zu Herzrhythmus-Störungen kommen.
☢️ Erhöhtes Krebsrisiko: Durch die erhöhte Strahlung im All können Zellen geschädigt werden.
📉 Space-Immunschwäche: Das Immunsystem schwächelt, die Besatzung der ISS hat oft mit Hautausschlägen oder Atemwegsinfektionen zu kämpfen.
Was ist die Space-Immunschwäche?
Schon im Rahmen des Apollo-Programms der NASA in den 60er- und 70er-Jahren wurde festgestellt, dass die Astronauten sehr viel anfälliger für Krankheiten waren. Der Großteil der Raumfahrer zog sich nach der Rückkehr auf die Erde Infekte zu, auch im Körper ruhende Viren wie beispielsweise Herpes wurden teilweise wieder aktiviert. Wie unangenehm eine vergleichsweise harmlose Erkrankung im Weltall sein kann, zeigte sich bei der Mission Apollo 7 im Herbst 1968.
Die drei Besatzungsmitglieder Donn Eisele, Walter Schirra und Walter Cunningham erkrankten allesamt an einer heftigen Erkältung, was auf dem elftägigen Weltraumtrip für einige Probleme sorgte. Da das Nasensekret in der Schwerelosigkeit nicht von alleine abfließen kann, mussten sich die Astronauten ständig schnäuzen, was sie von ihren Experimenten und eigentlichen Aufgaben abhielt.
Jahrelang wurde nach den Ursachen der Space-Immunschwäche geforscht. Forschende von der kanadischen University of Ottawa veröffentlichen in dem Wissenschafts-Journal "Frontiers in Immunology" nun kürzlich die Ergebnisse einer Studie, die neue Erkenntnisse brachte. Untersucht wurde die Genexpression in den Leukozyten (weißen Blutkörperchen) von drei Astronautinnen und elf Astronauten, die sich alle im Schnitt etwa sechs Monate auf der internationalen Raumstation ISS aufgehalten hatten.
Den Astronautinnen und Astronauten wurde vor und während des Aufenthalts im All Blut abgenommen und dann mehrfach nach der Rückkehr auf die Erde. Die Immunzellen wurden daraufhin aus dem Blut der Raumfahrer gefiltert, die Untersuchungen zeigten deutliche Abweichungen in den genetischen Aktivitäten der Immunzellen. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass das Immunsystem sich durch Veränderungen in der Aktivität der Gene schnell an die extremen Bedingungen in der Schwerelosigkeit anpasst, dabei aber deutlich weniger widerstandsfähig als in der gewohnten Umgebung ist.
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Was gegen die Space-Immunschwäche getan werden kann
Auch wenn die Ursache für das Schwächeln des Immunsystems in der Schwerelosigkeit offenbar erkannt wurde, bleibt noch vieles unklar.
Vermutet wird, dass der Effekt mit den Verschiebungen der Körperflüssigkeiten in der Schwerelosigkeit zu tun haben könnte, denn auch Blutplasma und Lymphe wandern aus dem unteren Teil des Körpers in den Oberkörper.
Nach der Rückkehr aus dem Weltraum nahm die Space-Immunschwäche bei den untersuchten Astronautinnen und Astronauten schnell wieder ab. Ein Monat nach der Rückkehr war das Infektionsrisiko zwar noch deutlich erhöht, nach einem Jahr auf der Erde war die Expression der Gene in den Immunzellen dann aber wieder im Normalzustand. Wann die Immunresistenz tatsächlich wieder komplett hergestellt ist, konnte die Studie jedoch noch nicht abschließend klären. Vermutlich ist die Erholung des Immunsystems von Mensch zu Mensch unterschiedlich, abhängig von Alter, Geschlecht und genetischen Unterschieden.
Warum die Space-Immunschwäche ein Problem ist
Der russische Kosmonaut Waleri Wladimirowitsch Poljakow verbrachte zwischen dem 8. Januar 1994 und dem 22. März 1995 exakt 437 Tage, 17 Stunden, 58 Minuten und vier Sekunden auf der Raumstation Mir. Kein Mensch war je länger am Stück im Weltraum, die Astronautinnen und Astronauten einer Mars-Mission müssten diesen Rekord allerdings deutlich überbieten - und sich somit auf unerforschtes Terrain begeben.
Etwa neun Monate müssten für den Hinflug eingeplant werden, die gleiche Zeit für den Weg zurück. In der Zwischenzeit müssten sich die Mars-Reisenden unter Umständen bis zu einem Jahr auf dem Roten Planeten aufhalten, um darauf zu warten, dass der Mars auf seiner Umlaufbahn wieder am erdnächsten Punkt angekommen ist. Welchen Einfluss ein so langer Aufenthalt im Weltraum auf den menschlichen Körper haben würde, lässt sich bisher nur theoretisch abschätzen.
Klar ist aber, dass sowohl die Space-Immunschwäche wie auch die anderen gesundheitlichen Probleme, mit denen Astronautinnen und Astronauten zu kämpfen haben, ein großes Problem für eine Mars-Mission und auch die dauerhafte Besiedlung des Mondes mit seiner niedrigeren Schwerkraft wären.
Denn sollte ein Mars-Reisender Millionen Kilometer von der Erde entfernt ernsthaft erkranken, gäbe es keine Möglichkeit zu helfen oder einfach schnell umzudrehen. Wenn eine Mission zum Mars gelingen soll, müssen also Möglichkeiten gefunden werden, um die Gesundheit der Astronautinnen und Astronauten an Bord effektiv zu schützen.
Die wichtigsten Fragen zu Space-Immunschwäche
Das Immunsystem des Menschen schwächelt in der Schwerelosigkeit des Weltraums, weshalb Astronautinnen und Astronauten häufiger mit Krankheiten und Infektionen zu kämpfen haben. Das Phänomen wird als Space-Immunschwäche bezeichnet.
Kanadischen Wissenschaftler:innen vermuten, dass das Immunsystem im Weltall schwächelt, weil es zu einer Verschiebung von Körperflüssigkeiten in der Schwerelosigkeit in Richtung Oberkörper kommt.
Ja, allerdings zeitlich begrenzt. Einen Monat nach der Rückkehr auf die Erde ist das Infektionsrisiko immer noch deutlich erhöht, danach nimmt es ab. Nach einem Jahr soll das Infektionsrisiko wieder normal sein.
Bislang gibt es noch keine Hilfe gegen die Space-Immunschwäche. Wissenschaftler:innen hoffen, Mittel zu finden, die gegen die Unterdrückung des Immunsystems im Weltraum helfen. Für Langzeit-Missionen, wie etwa einen Flug zum Mars wäre das von großer Bedeutung.