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Geschichte

Raubkunst: Das hat es mit gestohlenen Kunstwerken auf sich

  • Veröffentlicht: 12.03.2024
  • 05:00 Uhr
  • Christian Stüwe
Eine Benin-Bronze in einem Museum in Leipzig.
Eine Benin-Bronze in einem Museum in Leipzig.© Picture Alliance/dpa | Jan Woitas

Als Raubkunst werden Kunstwerke und Kulturgüter bezeichnet, die sich die Nationalsozialisten und Kolonialmächte unrechtmäßig aneigneten. Was es damit auf sich hat, warum es so schwierig ist, sie den rechtmäßigen Besitzer:innen zurückzugeben und warum man die gestohlenen Werke teilweise noch immer in Museen bestaunen kann.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Als Raubkunst werden Kunstwerke und Kulturgüter bezeichnet, die verfolgten und unterdrückten Menschen entzogen wurden.

  • Vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Kolonialzeit wurden Kunstwerke und Kulturgüter geraubt.

  • Zwischen 1933 und 1945 brachten die Nazis rund 600.000 Kunstwerke, die meist Jüdinnen und Juden gehörten, in ihren Besitz.

  • Während der Kolonialzeit entwendeten Europäer tausende ethnologische und ethnographische Kulturgüter vor allem in afrikanischen Ländern und der Südsee.

Im Video: Gestohlener Gold-Sarkophag an Ägypten zurückgegeben

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Was ist Raubkunst?

Der Film "Monuments Men – Ungewöhnliche Helden" warf 2014 ein Schlaglicht auf einen Aspekt des Zweiten Weltkrieges, der zuvor vielen Menschen nicht bekannt war. George Clooney spielt darin den Kunstprofessor Lieutenant Frank Stokes, der eine siebenköpfige Spezialeinheit anführt. Deren Auftrag ist es, von den Nationalsozialisten geraubte Kunstwerke zu sichern.

Der Film beruht auf der wahren Geschichte der "Monuments, Fine Arts, and Archives Section" der US Army, deren Kunstschutz-Offiziere gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im großen Stil NS-Raubkunst sicherstellten und diese teilweise auch ihren rechtmäßigen Besitzer:innen zurückgeben konnten.

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In Kriegen waren Kunstwerke seit jeher eine beliebte Beute. Die Kreuzritter brachten antike Säulen aus Byzanz mit, die heute im Markusdom in Venedig stehen. Schwedische Soldaten raubten im Dreißigjährigen Krieg die Kunstschätze der Prager Burg. Napoleon ließ die Quadriga, die heute auf dem Brandenburger Tor steht, 1806 nach Paris schaffen. Und englische Soldaten plünderten 1897 den Königshof von Benin und nahmen wertvolle Bronzen mit in ihre Heimat.

Kunstwerke sind schön und wertvoll, sie dienen als Trophäen, können als Zeichen des Sieges präsentiert werden. Werden Kunstwerke im Krieg außerhalb des eigenen Territoriums erobert, spricht man von Beutekunst. Raubkunst hingegen resultiert nicht aus Eroberungen, es handelt sich um einen staatlich organisierten Kunstraub an verfolgten Menschen.

Während der Herrschaft der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 gelangten rund 600.000 Kunstwerke in den Besitz der Nazis, die unterdrückten Menschen entzogen oder teilweise einfach weit unter Wert abgekauft wurden. Die Raubkunst stammte größtenteils aus dem Besitzt von Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich und später auch aus den besetzten Gebieten.

Mehrere Gesetze zur Enteignung der Kunstwerke wurden erlassen, Behörden organisierten den Raub und übten Druck aus. Teilweise durften verfolgte Menschen Deutschland im Austausch gegen Kunstwerke verlassen. Oder die unter einem Arbeitsverbot leidenden Jüdinnen und Juden mussten ihren Besitz weit unter Wert verkaufen, um sich Lebensmittel leisten zu können. Weshalb Raubkunst als "NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter" definiert wird.

Aber auch Kunstwerke und Kulturgüter aus den eroberten und unterdrückten Kolonialgebieten werden immer wieder als Raubkunst bezeichnet. Die Kolonialisten herrschten oft brutal über die Einheimischen und nahmen einfach mit, was ihnen gefiel. In anderen Fällen wurden wertvolle Gegenstände gegen billige Glasperlen oder minderwertigen Tabak eingetauscht.

Das Deutsche Reich hatte zwischen 1884 und 1919 vor allem in Afrika Kolonien, die deutschen Kolonialisten, Wissenschaftler und Geschäftsleute ließen in dieser Zeit ethnologische, ethnographische und archäologische Kulturgüter nach Deutschland transportieren. Teilweise um diese auszustellen oder zu erforschen, teilweise aber auch einfach nur um sich zu bereichern. Bis heute werden Statuen, Masken, Throne, Altare und Alltagsgegenstände aus dieser Zeit in deutschen Museen ausgestellt.

Die deutschen Kolonien vor dem Ersten Weltkrieg", Grafik: A. Brühl
Die deutschen Kolonien vor dem Ersten Weltkrieg", Grafik: A. Brühl© picture-alliance/ dpa-infografik | dpa-infografik

Rechtlich ist es oft gar nicht so einfach, zwischen Raubkunst, Beutekunst und legal erworbenen Artefakten zu unterscheiden. Zum Beispiel steht immer wieder die in Berlin ausgestellte Büste der Nofretete im Zentrum von Diskussionen. Gelangte die beeindruckende Skulptur nach ihrer Entdeckung 1912 in Ägypten legal in den Besitz der Deutschen Orient-Gesellschaft oder wurde Druck ausgeübt? Nach mehr als 100 Jahren ist das nicht mehr so einfach zu klären.

Ein anderes Beispiel sind die berühmten Benin-Bronzen, die über Umwege ebenfalls nach Deutschland gelangten und schließlich 2022 von Außenministerin Annalena Baerbock an Nigeria zurückgegeben wurden. Doch dazu später mehr.

Raubkunst: Weshalb die Nazis Kunstwerke klauten

Adolf Hitler träumte als junger Mann davon, Kunstmaler zu werden. Zweimal bewarb er sich für ein Kunststudium, und obwohl er abgelehnt wurde, interessierte er sich weiterhin sehr für Gemälde. Wie Hitler war ein großer Teil der NS-Spitze kunstbegeistert, Hermann Göring war ein fanatischer Sammler, Heinrich Himmler und Joseph Goebbels verstanden sich als Kunstfreunde und Mäzene.

Hitler trieb das Ziel an, die weltweit größte Sammlung an Kunstwerken zusammenzutragen. Diese sollte im geplanten "Führermuseum" in Linz ausgestellt werden, die Organisation "Sonderauftrag Linz" wurde mit der Beschaffung der Kunstwerke beauftragt. Verwirklicht wurde der Prachtbau nicht, nach Kriegsende wurde die aus Raubkunst und Beutekunst bestehende Sammlung von der amerikanischen Armee beschlagnahmt.

Ein Sonderfall der NS-Raubkunst waren Teile der Modernen Kunst, die die Nazis ab August 1937 als "Entartete Kunst" und somit als "Angriff auf die arische Kultur" bezeichneten und beschlagnahmten. Zunächst war sich die Nazi-Führung nicht einig, welche Kunstwerke zur "Verfallskunst" zählen sollten, da auch von NS-Größen bewunderte Künstler betroffen waren. Mit dem "Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" wurde dann aber ab dem 31. Mai 1938 klar geregelt, welche Gemälde beschlagnahmt werden sollten. Insgesamt waren rund 20.000 Werke von 1.400 Künstler:innen betroffen, die aus den Museen entfernt wurden.

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Die Bestände wurden von einer Sonderkommission verwaltet und zunächst noch in der diffamierenden Ausstellung "Entartete Kunst" in verschiedenen deutschen Städten präsentiert. Später verschwanden manche Gemälde in Kellern, andere wurden verbrannt. Tatsächlich wurden auch Kunsthändler:innen damit beauftragt, die hochpreisigen Gemälde im Ausland, vor allem in die Schweiz, im Tausch gegen Devisen zu verkaufen oder gegen deutsche Kunst einzutauschen.

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Wie Kunstschätze aus der Kolonialzeit in europäischen Museen landeten

Die Insel Luf gehört heute zu Papua-Neuguinea, im Jahr 1903 war sie Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea. Damals bezahlte Max Thiel, Geschäftsführer der deutschen Handelsgesellschaft Hernsheim & Co., angeblich 6.000 Mark für ein knapp 15 Meter langes Ausleger-Boot. Das Luf-Boot wurde nach Deutschland gebracht und ausgestellt, derzeit ist es im Berliner Humboldt Forum zu sehen.

Offizielle Dokumente, die den Kauf belegen gibt es nicht. Was Fragen aufwirft. Wurde ein fairer Preis bezahlt? Oder eigneten sich die Kolonialisten, die brutal über die Insel herrschten, das Boot an? In diesem Fall würde es sich um Raubkunst handeln. Immer wieder wird über eine Restitution, also eine Rückgabe des Luf-Bootes, diskutiert.

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Ebenfalls in Berlin ist der perlenbesetzte Thron von Njoya, dem König der Bamum aus Kamerun, zu sehen. Njoya schenkte den Thron Kaiser Wilhelm II. 1908 zum Geburtstag. Aber wie freiwillig kann ein Geschenk an den Herrscher einer Besatzungsmacht sein? War der Thron eine Geste der Dankbarkeit für einen gemeinsamen Feldzug mit den deutschen Truppen gegen Feinde der Bamum? Oder übten Kolonial-Beamte Druck auf Njoya aus, der zuvor offenbar mehrere Anfragen für den Thron zurückgewiesen hatte? Auch in diesem Fall bleiben viele Fragen offen.

Ein drittes Beispiel sind die bereits erwähnten Benin-Bronzen, die durch die Plünderung des Königshofs von Benin als Beutekunst in den Besitz der englischen Armee gelangten und dann an verschiedene Länder, unter anderem nach Deutschland, verkauft wurden, bevor sie schließlich 2022 an Nigeria zurückgegeben wurden.

Warum wird Raubkunst so selten zurückgegeben?

Wie die Beispiele des Luf-Schiffes und des Thron von Njoya zeigen, ist das Thema juristisch sehr komplex. Es waren Menschen beteiligt, die schon lange nicht mehr leben, und Länder, die in der damaligen Form nicht mehr existieren. Ob und wie Druck ausgeübt wurde oder ob die Einheimischen getäuscht wurden, ist schwer nachvollziehbar. Im Falle des Luf-Schiffes gibt es keine Restitutions-Anfrage von Papua-Neuguinea. Und auch wenn in Kamerun in Bezug auf den Thron immer wieder von Diebstahl gesprochen wird, steht eine offizielle Anfrage der Regierung aus.

Anders war der Fall bei den Benin-Bronzen. Bereits in den 70er-Jahren forderte die Regierung Nigerias die Rückgabe der Kunstschätze. Am 1. Juli 2022 unterzeichneten Deutschland und Nigeria ein Restitutions-Abkommen, in einem feierlichen Staatsakt übergaben Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Dezember Teile der Bronzen an Vertreter:innen der nigerianischen Regierung.

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Allerdings verlief die Restitution nicht wie erhofft. Statt in nigerianischen Museen gezeigt zu werden, gingen Teile der Benin-Bronzen in den Besitz der Königsfamilie über. Teilweise ist der Aufenthaltsort der Bronzen unklar, andere sind in schlechten Zustand. Was zu erneuten Diskussionen über die Sinnhaftigkeit der Restitution führte.

Auch im Falle der NS-Raubkunst dauerte es lange, bis mit der Aufklärung und Rückgabe der Kunstwerke begonnen wurde. Erst mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende wurde im Jahr 1998 in der "Washingtoner Erklärung" 1998 festgelegt, dass sich die betroffenen Länder verpflichten, Raubkunst aus ihren Museen und Beständen an die ursprünglichen Besitzer:innen zurückzugeben.

Bei der Umsetzung gibt es aber enorme Schwierigkeiten. Bei vielen Bildern, die in Museen hängen, lässt sich kaum klären, ob es sich tatsächlich um Raubkunst handelt. Außerdem gilt die "Washingtoner Erklärung" nicht für Privatpersonen, in deren Besitz die Kunstwerke nach einer längst abgelaufenen Verjährungsfrist von 30 Jahren ohnehin übergegangen sind.

Insgesamt gelten rund 100.000 Gemälde aus der NS-Raubkunst bis heute als verschwunden. Viele dürften sich in privaten Sammlungen befinden, immer wieder taucht auch Raubkunst in Auktionshäusern oder auf dem Schwarzmarkt auf. Das Thema Raubkunst und Restitution wird deshalb die Öffentlichkeit auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter beschäftigen.

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