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Melatonin zum Einnehmen: Wundermittel oder Abzocke?

  • Veröffentlicht: 06.02.2022
  • 07:45 Uhr
  • Galileo

Melatonin wird als natürliche Einschlafhilfe und Anti-Aging-Wundermittel angepriesen. Was ist dran an dem Hype um das Hormon und hilft es wirklich dabei, besser zu schlafen? Im Video: Schlafhelfer im Test.

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Melatonin: Was ist das?

  • Melatonin ist ein Schlafhormon, das unsere innere Uhr steuert. Wird es dunkel, hilft es uns dabei, müde zu werden.

  • Ältere Menschen mit Schlafstörungen können Melatonin auf Rezept erhalten.

  • Als natürliches Schlafmittel wird es niedrig dosiert auch freiverkäuflich als Schlafspray, Tropfen oder Kapseln angeboten. Die Wirkung ist allerdings begrenzt.

  • Weil Melatonin auch eine antioxidative Wirkung hat und damit die Zellalterung verlangsamen kann, wird es auch als Anti-Aging-Wundermittel beworben. Die Studienlage hierzu ist jedoch dünn.

  • In verschiedenen Bereichen der Medizin, z.B. bei Tumorerkrankungen oder in der Reproduktionsmedizin, scheint die Gabe von Melatonin positive Effekte zu haben. Die Forschung dazu steckt aber noch in den Kinderschuhen.

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Melatonin als natürliches Schlafmittel?

Das Hormon Melatonin wird in unserer Zirbeldrüse im Zwischenhirn gebildet und bestimmt unseren Schlaf-Wach-Rhythmus (übrigens auch den von Vögeln, weswegen sie uns morgens mit ihrem Gezwitscher wecken können). Wird es dunkel, erhält unser Gehirn über die Netzhaut das Signal, die Melatonin-Produktion hochzufahren. Das Ergebnis: Wir werden müde.

Der Gedanke, einfach etwas zusätzliches Melatonin einzunehmen, wenn man nicht schlafen kann, liegt nahe. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn das Hormon wirkt nur indirekt und wird von der Leber sehr schnell wieder abgebaut.

Auf Rezept sind bei uns aktuell nur 2 Medikamente mit Melatonin erhältlich: 

  1. Circadin ist nur für Menschen über 55 Jahre zugelassen. Der Grund: Unsere Melatonin-Produktion sinkt, je älter wir werden. Bei 60-Jährigen ist der Melatonin-Spiegel nur noch etwa halb so hoch wie bei 20-Jährigen, was zu Schlafstörungen führen kann. Circadin kann dabei helfen, die innere Uhr der Betroffenen zu normalisieren.
  2. Slenyto ist erst seit 2018 für Kinder und Jugendliche zugelassen, die eine Autismus-Störung haben und an Schlafstörungen leiden. Patient*innen mit neurologischen Erkrankungen produzieren nämlich unter Umständen selbst weniger Melatonin, was zu Schlafschwierigkeiten führen kann.

Für andere Gruppen konnte die Wirkung von Melatonin auf einen besseren Schlaf bislang nicht in größeren Studien nachgewiesen werden. Erste Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass die Einschlafzeit um einige Minuten verkürzt werden kann. Zum besseren Durchschlafen taugen die freiverkäuflichen Produkte jedoch keinesfalls.

Ist Melatonin gefährlich?

💊 Nebenwirkungen haben die freiverkäuflichen Melatonin-Produkte nicht. Sie sind mit maximal 1 Milligramm so niedrig dosiert und werden so schnell vom Körper abgebaut, dass sie im schlimmsten Fall einfach nicht wirken.

💊 Melatonin-Tabletten mit mehr als 2 Milligramm (Circadin) sind in Deutschland seit 2007 zugelassen, aber verschreibungspflichtig - auch weil die Studienlage noch unklar ist. Vor allem systematische Untersuchungen zur Langzeitwirkung von Melatonin gibt es noch zu wenige.

💊 Die Erfahrung aus rund 15 Jahren Circadin-Einsatz zeigt jedoch: Wenn Melatonin über längere Zeit und in hohen Dosen eingenommen wird, kann das unter anderem zu Kopfschmerzen, Entzündungen im Nasen-Rachenraum, Schwindel oder Übelkeit führen.

💊 Wenn du schwanger bist, stillst oder Betablocker zum Blutdrucksenken einnimmst, solltest du auf keinen Fall zusätzlich Melatonin zu dir nehmen. Mit einigen Antibiotika und Antidepressiva sowie Alkohol gibt es zudem Wechselwirkungen.

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Kann ich Schlafspray oder Tropfen mit Melatonin trotzdem probieren?

✈ Wenn du nach einem Langstreckenflug Jetlag hast, kann dir Melatonin eventuell helfen, in den richtigen Schlaf-Wach-Rhythmus am Zielort zu kommen.

👩‍⚕️ Wenn du in Schichten arbeitest und Probleme beim Einschlafen hast, kannst du probieren, ob dir Melatonin hilft.

❗ Aber: Dosiere es wie auf der Verpackung angegeben und nimm es nicht länger als 2 Monate.

🔎 Generell bei Nahrungsergänzungsmitteln gilt: Sie sind nicht so gut überwacht wie Medikamente. Die enthaltene Melatonin-Dosis in deinem Präparat kann also von dem abweichen, was auf dem Etikett steht.

🚫 Höherdosierte, freiverkäufliche Präparate lassen sich zwar leicht übers Internet aus den USA bestellen, das ist aber strafbar und die Qualität nicht mit einem in Deutschland zugelassenen Medikament vergleichbar. Lass also besser die Finger davon.

Der Ursache von Schlafstörungen auf den Grund gehen

Was vielen nicht klar ist: Schlafstörungen sind ein Symptom, nicht die Erkrankung. Es ist also wichtig herauszufinden, warum jemand nicht ein- oder durchschlafen kann.

Das kann organische Ursachen haben, was in einem Schlaflabor herausgefunden werden kann. In den meisten Fällen ist Schlaflosigkeit jedoch eine Folge unserer Lebensweise. Stress, zu viel und zu lange am Computer oder Smartphone und zu wenig Bewegung können uns daran hindern, schnell und gut zu schlafen.

Falls du mehr als ein paar Nächte nicht gut schläfst, solltest du dem auf jeden Fall auf den Grund gehen. Denn nur wenn wir schlafen, wird das Stresshormon Cortisol abgebaut, wir verarbeiten Erlebtes, unser Stoffwechsel läuft auf Hochtouren und Knochen, Muskeln und Organe regenerieren sich.

Wenn hingegen unser Schlaf-Wach-Rhythmus dauerhaft gestört ist, kann uns das richtig krank machen. Neurologische Erkrankungen wie Demenz und Parkinson, aber auch Verdauungsstörungen, Tumore, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und ein schwaches Immunsystem können die Folge sein.

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Was du für einen guten Schlaf tun kannst – auch ohne Melatonin

⚡ Oberste Prio bei Schlafstörungen: Stress reduzieren. Denn Stress kurbelt die Cortisol-Ausschüttung an, den Gegenspieler des Melatonins.

🧘 Runterkommen und für körperliche und geistige Entspannung am Abend sorgen: Ein heißes Bad, Yoga, Meditation, Sauna oder ein leichtes Buch können dir dabei helfen. Sport, Krimis oder aufwühlende WhatsApp-Nachrichten sind eher kontraproduktiv.

💻 Digital Detox: Computer, Tablet und Smartphone haben im Bett nichts zu suchen. Am besten verzichtest du schon ein paar Stunden vor dem Schlafengehen darauf. Oder nutzt zumindest den Nachtmodus, der das anregende Blaulicht filtert.

💡 Dimme deine Lampen schon einige Zeit vor dem Schlafengehen oder schalte nur noch eine Stehlampe ein. Wenn es zu hell um dich herum ist, wird nämlich die Melatonin-Produktion blockiert.

🏃 Mach 2 bis 3 Mal pro Woche Ausdauersport - nur nicht vor dem Schlafengehen. Abends ein leichter Spaziergang ist aber okay.

🍵 Tees oder Tropfen aus pflanzlichen Wirkstoffen wie Hopfen, Baldrian oder Melisse können dir bei der Beruhigung deines Systems helfen. Deine Tasse Tee kann auch zu einem schönen, abendlichen Ritual werden.

⏰ Wenn du kannst, vermeide Schichtdienst. Der bringt deinen Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinander.

💤 Verzichte auf Mittagsschlaf. Der „klaut“ dir den Schlafdruck am Abend. Ein Power Nap von 10 Minuten ist aber erlaubt.

🛌 Sorge für eine gute Schlafumgebung. Dein Schlafzimmer sollte kühl und dunkel sein, die Matratze bequem.

Melatonin als Anti-Aging-Mittel und in der Medizin

⚕ Es ist bekannt, dass Melatonin - deutlich stärker als Vitamin C oder Vitamin E - eine antioxidative Wirkung hat. Heißt: Es hilft Entzündungen zu reduzieren, die Zellalterung zu verlangsamen und das Absterben von Zellen zu verhindern. Das macht es auch für Anti-Aging-Anwendungen und in der Medizin interessant.

⚕ Erste Studien legen zudem nahe, dass Melatonin positive Effekte bei der frühen Behandlung von Leberzirrhose haben kann.

⚕ Die Ergebnisse einer kleinen Anzahl Studien lässt vermuten, dass Tumorpatient:innen, die parallel zu einer Chemo- oder Strahlentherapie Melatonin einnahmen, weniger Nebenwirkungen und ein geringeres Sterberisiko haben können.

Alzheimer-Patient:innen können mit Melatonin womöglich alltägliche Aufgaben wie Kochen, Einkaufen oder Waschen besser verrichten.

⚕ Bei einer künstlichen Befruchtung soll Melatonin die Eizellreifung, die Befruchtung und die Embryonalentwicklung positiv beeinflussen.

⚕ In ersten Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass Melatonin das Immunsystem der Tiere aktivierte und so vermehrt Antikörper gegen Viren und Bakterien produziert werden. Ob dies auf den Menschen übertragbar ist, ist noch unklar.

⚕ Für alle medizinischen Anwendungen ist die Studienlage insgesamt noch sehr dünn. Bis zu einem breiten therapeutischen Einsatz von Melatonin in diesen Bereichen muss noch einiges an Forschungsarbeit geleistet werden.

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