Hätte, hätte, Lieferkette: Bewirkt das Lieferkettengesetz fairen Handel?
- Veröffentlicht: 04.07.2021
- 15:00 Uhr
- Galileo
Nach langem Ringen tritt das Lieferkettengesetz in Kraft. Es soll Unternehmen dazu bringen, dass auch deren Zuliefer:innen fair produzieren. Wirtschaftsvertreter:innen halten das für kaum kontrollierbar. Organisationen, die sich für Menschenrechte und Umwelt einsetzen, sehen das neue Gesetz als wichtiges Zeichen.
Das Wichtigste zum Thema Lieferkettengesetz
Bis etwa ein T-Shirt oder Smartphone bei uns im Handel ist, durchläuft ein Produkt zahlreiche Herstellungsschritte, an denen etliche Arbeitskräfte in den verschiedensten Ländern beteiligt sind.
Die Arbeitsbedingungen ihrer Zuliefer:innen spielten für deutsche Unternehmen bislang kaum eine Rolle. Zum Beispiel, dass laut Schätzungen von UNICEF weltweit rund 80 Millionen Kinder unter teils lebensgefährlichen Umständen arbeiten.
Als Maßnahme gegen derartige Ausbeutung gibt es nun das Lieferkettengesetz. Es soll dafür sorgen, dass Firmen menschenrechtliche Standards auch bei ihren Zuliefer:innen beachten.
Lobby-Gruppen der Wirtschaft haben sich lange gewehrt: Große Betriebe könnten unmöglich jede kleinste Anfertigungsphase kontrollieren.
Der Initiative Lieferkettengesetz, zu der sich verschiedene Menschenrechts-, Gewerkschafts- und Kirchenorganisationen zusammengeschlossen haben, geht das Lieferkettengesetz hingegen nicht weit genug. Ihr Motto: "Gegen Gewinne ohne Gewissen!"
Das öffentliche Bewusstsein für fairen und nachhaltigen Handel wächst. Einer repräsentativen Umfrage zufolge befürworten Dreiviertel der Deutschen ein Lieferkettengesetz.
Das umfasst das Lieferkettengesetz
Über Jahre hat die Bundesregierung mit sich und verschiedenen Interessengruppen gerungen. Im Juni wurde es offiziell beschlossen: das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
Ziel des Gesetzes ist es, beim Schutz von Menschenrechten in weltweiten Lieferketten mitzuwirken. Vom Rohstoff bis zum Endprodukt müssen Unternehmen künftig grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass sie und ihre Produzent:innen etwa das Verbot von Kinder- oder Zwangsarbeit ernst nehmen.
Dabei beinhaltet das Gesetz abgestufte Anforderungen: Bei mittelbaren Zuliefer:innen gilt die Sorgfaltspflicht nur bei konkreten Hinweisen auf Verstöße. Im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zuliefer:innen müssen sich Unternehmen hingegen von sich aus um die Einhaltung menschenrechtlicher Standards kümmern.
Die Durchsetzung des Lieferkettengesetzes überwacht das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Bei Verstößen drohen Unternehmen Geldstrafen oder ein bis zu 3 Jahre langer Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen.
Zur Vorbereitung haben die Unternehmen, die betroffen sind, aber noch Zeit: Das Gesetz gilt ab 2023 zunächst nur für Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigen und ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Angestellten. Danach soll der Anwendungsbereich des Gesetzes überprüft werden.
Kritik an der Umsetzbarkeit
Die Standpunkte zum Lieferkettengesetz stehen teils in so großem Widerspruch zueinander, dass das Gesetz zeitweise schon in der Planung zu scheitern drohte.
Insbesondere Interessengruppen aus der Wirtschaft sehen das Lieferkettengesetz als schwere Bürde für Unternehmen. Sie seien nicht für politische Veränderungen im Produktionsland verantwortlich. Vordergründig bedeuten die neuen gesetzlichen Vorgaben Zusatzkosten und Mehraufwand in der Herstellung.
Dabei werten Fachleute das beschlossene Lieferkettengesetz bereits als Zugeständnis an Konzerne. Denn: Durch die abgestuften Anforderungen in der Lieferkette müssen Firmen ihre Produktionsprozesse nicht bis ins letzte Glied überwachen.
Erster Schritt auf weitem Weg
Die Initiative Lieferkettengesetz, die aus unter anderem Menschenrechts- und Umweltschutz-Organisationen besteht, kritisiert das Lieferkettengesetz als "Anreiz zum Wegschauen".
Bei zahlreichen mittelbaren Zuliefer:innen in Entwicklungs- und Schwellenländern gehören Menschenrechtsverletzungen zum Alltag. Das Gesetz, das lediglich eine abgestufte Lieferkettensorgfaltspflicht vorsieht, decke diese nicht auf.
Zwar können Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen Betroffene von nicht unmittelbaren Vertragspartner:innen künftig dabei helfen, vor Gericht zu ziehen - allerdings nach ausländischem Recht. Das beinhalte Kritiker:innen zufolge viel Arbeit und zugleich wenig Aussichten auf Erfolg.
Außerdem spiele der Umweltschutz nur eine indirekte Rolle im Lieferkettengesetz. Voraussetzung: Umweltschäden müssen mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen, zum Beispiel bei vergiftetem Wasser.
Alles in allem bewerten Menschenrechtler:innen und Umweltschützer:innen das Lieferkettengesetz trotzdem als wichtigen ersten Schritt. Auf dem Weg zu proaktivem Einsatz für Menschenrechte und Umweltschutz in Lieferketten bleibe aber noch viel zu tun.
Grundlage für europäische Regelung?
Insgesamt zielt das deutsche Lieferkettengesetz also nicht darauf ab, überall deutsche Sozial-Standards durchzusetzen. Im Fokus stehen Menschenrechtsverstöße bei direkten Vertragspartner:innen.
Ähnliche Gesetze, die die Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Lieferketten regeln, gibt es auch bereits unter anderem in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz.
Um weltweit fairen und nachhaltigen Handel zu ermöglichen, fordern Fachleute weitere gesetzliche Vorgaben in Europa und dem Rest der Welt.
Deutschland will mit seinem Lieferkettengesetz Vorbild für eine europäische Vorschrift sein. Die Justizkommission der Europäischen Union arbeitet bereits an einem europäischen Lieferkettengesetz.
BMZ-Erklärvideo zum Lieferkettengesetz
In einem eigenen Video erklärt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) das neue Lieferkettengesetz.
Externer Inhalt
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Webseite der "Initiative Lieferkettengesetz"
Kritik vom Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA)