E-Voting: In Estland sind Online-Wahlen normal - bald auch bei uns?
- Veröffentlicht: 17.09.2021
- 20:45 Uhr
- Galileo
In Estland gehört E-Voting, etwa per Handy, bereits zum Alltag. Fast ein Drittel der Wahlberechtigten stimmte bei der letzten Parlamentswahl 2019 online ab. Wie sicher sind E-Wahlen? Kommt das Konzept auch zu uns nach Deutschland?
Das Wichtigste zum Thema E-Votings
Als E-Voting sind allgemein Wahlen und Abstimmungen gemeint, an der Wahlberechtigte mithilfe eines elektronischen Geräts teilnehmen.
Im engeren Sinn meint der Begriff Online-Wahlen über speziell eingerichtete Webseiten, die es zusätzlich zur klassischen "Offline-Wahl" gibt.
Vorreiter fürs E-Voting ist Estland. Auch in Deutschland gab es bereits zur Jahrtausendwende elektronische Wahlgeräte - heute aber (zunächst) nicht mehr.
E-Voting in Estland seit 2005
Die rund 900.000 wahlberechtigten Menschen in Estland können seit dem Jahr 2005 ihre Stimme zur Wahl des Europäischen und des nationalen Parlaments sowie auch auf kommunaler Ebene online abgeben.
Das E-Voting besteht aus einem mehrstufigen Verfahren: Zunächst identifizieren sich die Estinnen und Esten über eine eigene Webseite mit ihrem Personalausweis und einer PIN. Dadurch bekommen sie Zugriff auf die Liste der Kandidat:innen. Bei der Stimmabgabe kommt im zweiten Schritt ein weiterer Nummerncode ins Spiel, der als digitale Unterschrift dient. Per QR-Code lässt sich abschließend prüfen, ob die Stimme angekommen ist.
😌 "Verwählen" unmöglich
Im Wahlzeitraum können die estländischen Wahlberechtigten beliebig oft abstimmen. Entscheidend ist lediglich die letzte Stimmabgabe. Auch eine traditionelle "Offline-Wahl" ist weiter möglich, wobei eine Wahl per Brief oder an der Urne dann Vorrang vor dem E-Voting hat.
Ein Hauptgrund für die Einführung des E-Votings in Estland: Menschen den Zugang zur Wahl vereinfachen und durch eine höhere Wahlbeteiligung die Demokratie stärken.
Tendenziell geht der Plan auf: Lag die Wahlbeteiligung im Jahr 2003 ohne E-Voting noch bei knapp 58 Prozent, stieg sie im Jahr 2019 auf fast 64 Prozent. Auch der Anteil an E-Wähler:innen wächst an: Im Gegensatz zu 2015 (rund 20 Prozent) stimmte bei der letzten Parlamentswahl 2019 fast jede:r Dritte (rund 28 Prozent) online ab.
Welche Vorteile E-Voting mit sich bringt
⏳ Der offensichtlichste Pluspunkt: Eine automatische Auswertung geht viel schneller als langwieriges - teils notwendiges mehrmaliges - Auszählen von Hand.
🙈 Irren ist menschlich: Eine gute und sichere Software macht zudem in der Regel weniger Fehler beim Auszählen.
💸 Mittel- bis langfristig könnte E-Voting auch Geld sparen. Die Entwicklung und Wartung der technischen Systeme kostet zwar Geld. Dafür entfallen auf lange Sicht Ausgaben für den Stimmzetteldruck, mögliche Raummiete für Wahllokale und die Bezahlung für Wahlhelfer:innen.
📲 Nicht zuletzt wird Wählen niederschwelliger: Durch bequemes E-Voting selbst auf der Couch geben nicht nur potenzielle Nicht-Wähler:innen womöglich doch ihre Stimme ab.
👨🦽 Vor allem schafft E-Voting beispielsweise für manche Menschen mit Behinderung überhaupt einen Zugang zur Wahl. Der gegebenenfalls beschwerliche Weg zum Wahllokal wird überflüssig.
🤝 Eine hohe Wahlbeteiligung der gesamten Bevölkerung wiederum ist die Grundlage einer Demokratie und festigt das Vertrauen in die Politik.
Wie sicher ist E-Voting?
Knackpunkt für E-Wahlen ist deren Sicherheit. In dieser Hinsicht weichen die Einschätzungen teils weit voneinander ab.
📩 E-Voting als digitale Briefwahl
Befürworter:innen verweisen auf das digitale "Zwei-Umschlag-Prinzip", das E-Votings vergleichbar zur Briefwahl doppelt verschlüsselt und eine Rückverfolgung persönlicher Daten unmöglich machen soll.
Die Stimmabgabe wird in einem "inneren Umschlag" digital verschlüsselt, die persönlichen Wahldaten sind davon unabhängig in einem "äußeren Umschlag" gespeichert. Das Auslesen erfordert wiederum einen weiteren Code, der innerhalb der Wahlkommission aufgeteilt und nur gemeinsam nutzbar ist.
In Estland handelt es sich beim E-Voting zudem um eine Open-Source-Software. Alle können den zugrunde liegenden Quellcode also rund um die Uhr überprüfen. Auch sind mögliche Angriffe von Hacker:innen somit protokolliert.
👿 Einladung zur Manipulation?
Andere Fachleute stellen die Verlässlichkeit der Systeme von E-Votings hingegen infrage. Frei nach dem Motto: "Kein System ist sicher!"
Auch sind Gegner:innen hinsichtlich der Vertraulichkeit von E-Votings skeptisch. Wähler:innen könnten im privaten Umfeld zum Beispiel leichter in ihrer Stimmabgabe beeinflusst werden.
Ohnehin bewähren sich analoge Wahlstrukturen seit vielen Jahren, weshalb Kritiker:innen keine grundsätzliche Notwendigkeit für E-Votings sehen. Lediglich in dünn besiedelten Ländern wie Estland mit womöglich weiten, mühevollen Wegen zum Wahllokal könnten E-Votings ihres Erachtens eine Alternative werden.
E-Voting aus fachlicher Sicht
Beitrag zum "Electronic Voting" im "Handbuch Digitalisierung in Staat und Verwaltung"
Kiayias, A. + Lipmaa, H. (2012; Hrsg.): E-Voting and Identity
Tsahkna, A. (2013): E-Voting - Lessons from Estonia
Ist E-Voting auch in Deutschland denkbar?
Bei dieser Bundestagswahl spielt E-Voting keine Rolle. Tatsächlich waren in Deutschland schon einmal elektronische Wahlgeräte im Einsatz, erstmals bei der Europawahl 1999.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die damaligen Wahlgeräte aber nachträglich für unzulässig. Das Problem: Wähler:innen konnten nicht einsehen, ob die Geräte die Wahlstimmen korrekt auszählten. Das widersprach dem Grundsatz, dass alle wesentlichen Schritte einer Wahl öffentlich überprüfbar sein müssen.
Das entsprechende Urteil aus dem Jahr 2009 verbietet daher solche Wahlgeräte - aber nicht E-Voting generell. Trotzdem scheinen in Deutschland bis zu E-Votings estländischer Art noch viele Fragen offen.
👉 Strukturelle und gesellschaftliche Unterschiede
Neben den fehlenden rechtlichen Grundlagen sind mühselige Wege zum Wahllokal als Argument in Deutschland eher die Ausnahme: Nicht nur leben in Deutschland mehr als 60-mal so viele Menschen wie in Estland, diese wohnen auch wesentlich dichter nebeneinander.
Darüber hinaus bezweifeln Fachleute die erforderliche Akzeptanz in der Bevölkerung. In Estland herrscht seit einer Neu-Strukturierung nach einem massiven Hacker-Angriff im Jahr 2007 großes Vertrauen in neue Technologien und digitale Sicherheit. Im Gegensatz dazu stellen Expert:innen in Deutschland eine größere Vorsicht fest, vor allem in Bezug auf den Schutz persönlicher Daten. Die gleiche Diskussion wirft die geplante Smart-eID auf, mit der Deutsche ihren Personalausweis in digitaler Form auf ihrem Smartphone mitführen können.